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Von – 4. Juni 2014

Kirche ohne Korrektheitseifer

Pfingsten heißt, besoffen zu sein. Davor haben viele Angst. Denn man weiß ja nicht, ob man dann kuriose bis peinliche Dinge tut, vor lauter Lust zu schreien oder laut zu singen beginnt.

Die den Glauben brav kanaliseren wollen, haben an Pfingsten frei. Foto: Geog Magirius

Die den Glauben brav kanaliseren wollen, haben an Pfingsten frei. Foto: Geog Magirius

Allerdings war kein Tropfen Alkohol im Spiel, als Jesu Jünger der Überschwang erfasste. Viele lachten: Das kommt vom süßen Wein! Weil es aber früh am Morgen war, musste es etwas anderes sein, das die Zungen ungeheuer leidenschaftliche Wege gehen ließ.

Eben noch waren die Jünger stumm gewesen. Jetzt hatte sie ein Atemsturm erfasst. Sie sprachen Laute, die zu Herzen gingen, eine Weltsprache, die völkerverbindend, fremd und vertraut zugleich erschien. Jeder verstand jeden. Und das  Ungeheuerlichste war: Das Brausen wurde nicht mit müdem Lächeln quittiert, weil es für die Regularien einer Organisation zu windig sei.

„Ich bin überhaupt nicht gerne zügellos!“

„Ich bin aber nicht gerne zügellos“, wenden nüchtern Veranlagte ein. Der Sturm von Pfingsten jedoch zwingt zu nichts. Er befreit einfach nur davon, jede Idee zu überprüfen, ob sie auch nur ja keine störende Ecke hat.

Im Finden von Gegenargumenten sind wir Meister, beobachte ich: „Wir müssen das Große und Ganze im Blick behalten“, heißt es dann. Das Neue könne andere gefährden! Oder ist es eher die eigene Angst, vom Leben mitgerissen zu werden?

Statt dem heiligen Besäufnis zu trauen, hofft man lieber auf: Schriftwechsel / Ausschuss / Unterausschuss / Feedbackrunde – und nicht zu vergessen! DIe offiziell eingeleiteten und professionell begleiteten Kreativrunden, deren Überraschungsmomente augenblicklich in die Excel-Tabelle eingetippt und damit zeitgleich eliminiert werden.

Ende der Hemmungen

An Pfingsten aber ist das heilige Geplapper nicht leise zu kriegen. Es ist nichts anderes als der Mut, sich auf offener Straße endlich einmal daneben zu benehmen. Der Geist Gottes weht die ewigen Selbstbefragungen weg, ob das Gesagte klug genug, ethisch und religiös korrekt, also nachweisbar ohne Fehler sei.

Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche, heißt es manchmal, eine Grundsteinlegung. Aber handelt es sich nicht viel eher um eine Entkirchlichung? Dann nämlich, wenn man bei Kirche ausschließlich an Gebäude denkt, an Diskussionspapiere, Konferenzbestuhlung und ein Protokolldeutsch, das ans unablässige Säuseln einer Klimaanlage erinnert.

Fenster werden aufgerissen. Die Leidenschaft stürmt ins Haus und die Menschen nach draußen. Gefeiert wird eine Kirche ohne Korrektheitseifer. Der Heilige Geist verzaubert mit einer Kraft, die das Gegenteil eines mühsam angeeigneten Könnens ist.

Heiliges Babyplappern

Es ist weniger Gedankensprache als vielmehr Musik. Da regiert ein Gesang, der nicht aus eingebimsten Tönen besteht, sondern an jenes Lied erinnert, das Kinder von sich geben, kurz bevor sie im Freibad ins Wasser springen. Es ist das Rufen von Babys, deren Stimmen niemals heiser werden, auch wenn sie länger und lauter tönen als die Stimmen all der Atemspezialisten, die sich im 31. Fortbildungskurs zur Erweiterung der Stimme befinden.

An Pfingsten wird die Stimme nicht erweitert, sondern kommt frei. Sie tönt, wie sie schon immer klingen wollte: Mit einem Selbstbewusstsein, das die Größe hat, anderen nicht den Mund zu stopfen. Denn im Jubelsturm singt jeder mit – bis auf die Aufpasser und Ideenmörder. Sie haben an Pfingsten frei.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 4. Juni 2014 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Georg Magirius ist Theologe und Schriftsteller und Kolumnist bei "Evangelisches Frankfurt". Mehr unter www.georgmagirius.de.

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