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Von – 23. Juli 2014

Flüchtlinge bitten Gemeinden um Kirchenasyl für Notfälle

Mit einem Offenen Brief bitten Flüchtlinge die hessischen Kirchengemeinden, mehr Kirchenasyl für Notfälle zu gewähren.  In Frankfurt gründet sich zurzeit eine Steuerungsgruppe, die Gemeinden dabei unterstützen soll.

Fordern neue Regelungen für Geflüchtete in Europa (von links nach rechts): Pfarrerin Sabine Fröhlich, Mareike Kessler von der Initiative „Noborder Frankfurt“, Paulos Yacob, Sprecher der Geflüchteteninitiative „Refugees for Change“, und Dekanin Ursula Schoen. Foto: Doris Stickler

Fordern neue Regelungen für Geflüchtete in Europa (von links nach rechts): Pfarrerin Sabine Fröhlich, Mareike Kessler von der Initiative „Noborder Frankfurt“, Paulos Yacob, Sprecher der Geflüchteteninitiative „Refugees for Change“, und Dekanin Ursula Schoen. Foto: Doris Stickler

Die europäischen Außengrenzen hätten sich bereits für unzählige Menschen als Todesfalle entpuppt, sagte der der aus Eritrea stammende Paulos Yacob bei der öffentlichen Präsentation des Schreibens, das auch von mehreren Flüchtlingsorganisationen unterstützt wird, in der Evangelischen Akademie Frankfurt. Aber auch diejenigen, die es schaffen, den Kontinent zu betreten, seien in einer „katastrophalen Lage“.

Die so genannte Dublin-Verordnung zwinge Geflüchtete, den Asylantrag im Ankunftsland zu stellen – für die meisten sei das Italien. Dort billige man ihnen jedoch „weniger Rechte als Hunden“ zu, sagte der Sprecher der Geflüchteteninitiative „Refugees For Change“. Es mangele an Unterkünften, medizinischer Versorgung und Arbeitsmöglichkeiten. Hinzu kämen rassistische Gewalt und die permanente Angst vor den Attacken der Polizei.

Sechs Monate auf deutschem Boden

Mit der Hoffnung auf eine menschlichere Behandlung schlagen sich deshalb viele nach Deutschland durch. Die Hoffnung wird hier freilich bitter enttäuscht. Aufgrund der so genannten „Drittstaatenregelung“ steht ihnen die umgehende Abschiebung in das Ankunftsland bevor, auch der Zugang zu einem Asylverfahren bleibt ihnen verwehrt – es sei denn, den Geflüchteten gelingt es, sich sechs Monate lang auf deutschem Boden aufzuhalten.

An dieser Stelle kann sich ein Kirchenasyl als Rettungsanker erweisen. Wie etwa bei dem eritreischen Ehepaar, dem die Gemeinde Cantate Domino in der Nordweststadt derzeit Zuflucht gewährt. Ende August werden sie die Halbjahresfrist erfüllt haben und können dann nicht mehr abgeschoben werden. Pfarrerin Sabine Fröhlich begrüßt diesen „Sprung ins kalte Wasser“ ihrer Gemeinde, für den „christliches Mitgefühl den Ausschlag“ gegeben habe.

Kirchenasyl bereichere auch die Gemeinden

Wegen der vielen organisatorischen und rechtlichen Fragen – Kirchasyl müsse zum Beispiel den Behörden gemeldet werden, damit die Betreffenden nicht als untergetaucht gelten – habe man zuerst zwar geschluckt, schon bald jedoch „das Zusammenleben mit den Geflüchteten als Bereicherung“ erlebt. Fröhlich registriert in der Gemeinde eine neue Dynamik, die aus der engen Kooperation mit der Initiative „noborder frankfurt“ und den vielen kirchendistanzierten Unterstützern und Unterstützerinnen resultiert. Die Theologin, die zu den Erstunterzeichnerinnen des offenen Briefs gehört, ermuntert „jede Gemeinde, sich auf dieses Abenteuer einzulassen“. Sie sei gerne bereit, ihre Erfahrungen weiterzugeben.

Das ist auch Pfarrerin Ursula Schön, die sich gegenwärtig beim Aufbau einer Steuerungsgruppe engagiert, die in Frankfurt künftig Gemeinden, die Kirchenasyl gewähren, mit Rat und Tat zur Seite stehen soll. Für die Dekanin, die ebenfalls eine Erstunterzeichnerin des offenen Briefes ist, ist die Kirche verpflichtet, in Flüchtlingsfragen öffentlich Stellung zu beziehen und die Dublin-Verordnung, die „menschlicher Würde und christlichem Glauben widerspricht“, scharf zu kritisieren.

200 Kirchenasyle bundesweit, 15 in Hessen

Da Kirchenasyl keinen juristischen, sondern nur einen symbolischen Schutzraum bietet und stets in Absprache mit den Behörden stattfindet, könne es nur ein Baustein unter anderen sein, betonte Schön. Gegenwärtig gebe es bundesweit rund 200, hessenweit etwa 15 Gemeinden, die Geflüchteten, Asyl gewähren, um sie vor der Dublin-Abschiebung zu bewahren. Ohne Verantwortungsübernahme seitens der Politik lasse sich jedoch ein humanerer Umgang mit Geflüchteten letztlich nicht realisieren.

Wie überaus langsam hier die Mühlen mahlen – wenn sie es überhaupt noch tun – bekommt Paulos Yacob seit neun Monaten zu spüren. So lange sitzt er bereits in der Eschborner Flüchtlingsunterkunft und wartet auf einen Bescheid der Behörde. „Der Toten zu gedenken, sollte bedeuten, die Überlebenden zu schützen“, lautet die Überschrift des von ihm mitinitiieren offenen Briefs, von dem er sich „Nachdruck beim Einlösen der Menschenrechte“ erhofft. Ob dies auf staatlicher Seite gelingt, wird sich zeigen. Vielleicht stößt er aber weitere Kirchengemeinden zum Nachdenken das biblische Gebot an, Verfolgten und Flüchtlingen beizustehen.

Hier der Offene Brief im Wortlaut.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 23. Juli 2014 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe , .

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