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Keine Angst vor Dissonanzen

Achim Knecht ist der erste evangelische Stadtdekan für Frankfurt – offiziell im Amt ist er seit 1. September.  Der promovierte Theologe lebt bereits seit 1986 in Frankfurt, unter anderem war er Pfarrer in der Kreuzgemeinde in Preungesheim, in der Wicherngemeinde in Praunheim, an der Carl-von-Weinberg-Schule in Goldstein sowie in Griesheim. Im Interview spricht der 57-Jährige über seine Ideen und Vorhaben.

Stadtdekan Achim Knecht im Gespräch mit Evangelisches Frankfurt. Foto: Rolf Oeser

Stadtdekan Achim Knecht im Gespräch mit Evangelisches Frankfurt. Foto: Rolf Oeser

Herr Knecht, herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum Stadtdekan! Bei Ihrer Rede vor der Synode haben Sie ein recht positives Zukunftsbild der Frankfurter Kirche gemalt. Was macht Sie so optimistisch?

Optimismus ist ja auch eine Frage des Naturells, und ich bin ein eher optimistischer Mensch. Aber worauf es mir vor allem ankommt, ist ein geistlicher Umgang mit den Problemen, vor denen die Kirche steht. Gottvertrauen ist das, was die Kirche auszeichnen sollte. Das ist ein bisschen etwas anderes als Optimismus, aber durchaus verwandt.

Sie haben auch besonders die Gemeinden stark gemacht. Würden Sie rückblickend sagen, dass die Bemühungen der letzten zwanzig Jahre, die Kirche eher in größeren Einheiten zu organisieren, in eine falsche Richtung gingen?

Wenn Gemeinden zugunsten einer mittleren Ebene abgewertet werden, dann halte ich das in der Tat für falsch. Aber da rudern ja auch manche auf der Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland wieder ein bisschen zurück. Die Bedeutung der mittleren Ebene, also von Stadtdekanaten und Gemeindeverbänden, darf nicht mit einer Abwertung von Basisarbeit in Gemeinden und Einrichtungen einhergehen. Aber ich denke, das muss auch nicht so sein. Wir gewinnen Glaubwürdigkeit und Stärke dadurch, dass in den Gemeinden Menschen ihre Zeit, ihr Geld und ihr Herzblut für die Botschaft des Evangeliums einsetzen. Im Stadtdekanat oder im Regionalverband geht es darum, das zu unterstützen.

Eine Begründung für die Gründung des Stadtdekanates war auch, dass die Kirche stärker mit einer Stimme sprechen sollte. Sie haben das einerseits unterstützt, andererseits aber auch in protestantischer Tradition modifiziert.

Ja, ich denke, Vielstimmigkeit und Eindeutigkeit sind kein Widerspruch. Mir schwebt eher das Bild des Konzertes vor – wahrscheinlich, weil ich Jazz-Fan bin. Musik ist dann reizvoll, wenn verschiedene Stimmen deutlich werden, aber die Tonart muss schon auch stimmen. Es muss klar sein, welches Stück gespielt wird.

Und gerade beim Jazz gibt es auch schon mal Dissonanzen!

Genau. Ein bisschen schräg darf es auch sein, das bringt Dinge in Bewegung.

Wird es in Frankfurt noch mehr Gemeindefusionen geben?

Ich denke, es wird schon noch welche geben. In manchen Gegenden unserer Stadt liegt es einfach auf der Hand, dass es besser ist, in größeren Gemeindestrukturen zusammenzuarbeiten. Mit Sicherheit wird es mehr Gemeinde-Kooperationen geben müssen. Besonders in den nördlichen Stadtteilen laufen wir auf eine prekäre Situation zu, weil es dort spätestens 2019 in der Mehrzahl der Gemeinden nur noch eine halbe Pfarrstelle geben wird. Das ist nicht zukunftsträchtig. Entscheidend ist dabei aber, dass der Schatz, den die kleinen Gemeinden haben, in der größeren Zusammenarbeit oder Organisation auch zum Tragen kommt.

Sie haben vorgeschlagen, dass nicht mehr jede Gemeinde alles machen soll. Wie meinen Sie das?

Unsere Gesellschaft hat sich sehr stark aufgefächert. Was die einen wunderbar finden, ist für andere ein Grund, nach Hause zu gehen. Diese Entwicklung führt dazu, dass das Angebot der Gemeinden sich immer weiter auffächert. Zum Beispiel wird dann zusätzlich zum traditionellen Gottesdienst noch ein zweiter gefeiert. Aber das geht natürlich nur begrenzt. Deshalb rate ich sehr dazu, sich ein Profil zu geben und zu sagen: Dafür stehen wir.

Haben Sie ein Beispiel?

Eine Gemeinde, in deren Stadtteil es viele junge Familien gibt, könnte zum Beispiel sagen: Wir konzentrieren uns auf Angebote für Eltern und Kinder. Dafür macht dann eine andere Gemeinde mehr Angebote für Erwachsene. Oder in der einen Gemeinde nimmt man sich die Freiheit, besonders ausdrucksstarke Gottesdienste zu feiern, während in einer anderen eher die anspruchsvolle Predigt im Zentrum steht.

Das klingt ein wenig nach Abschied vom Prinzip der Ortsgemeinde. Es würde ja heißen, wenn ich im Ostend wohne, mir aber in Bornheim die Gottesdienste besser gefallen, gehe ich dorthin.

Ja. Ich glaube, wir werden noch mehr zu Mischformen kommen. Das Territorialprinzip, wonach man zu der Gemeinde gehört, in deren Gebiet man wohnt, hat sich ja in Deutschland historisch entwickelt. Aber es stößt heute an bestimmte Grenzen. Ich denke durchaus, dass es weiterhin wichtig ist, wenn Menschen wissen: Da um die Ecke, das ist meine Kirche. Aber wir sollten uns die Offenheit zugestehen, dass Menschen sich auch zu anderen Gemeinden orientieren wollen, weil es dort ein Angebot gibt, das sie interessiert. Freiheit hat noch nie geschadet, und ein bisschen Profil tut es auch nicht.

Für 2019 ist eine Fusion mit dem Dekanat Offenbach beschlossen. Das hat ja sonst noch niemand geschafft.

Die Offenbacher Dekanin hat sich schon lange dafür stark gemacht, und mir hat es gleich eingeleuchtet. Bei vielen kulturellen Ereignissen ist es ja längst völlig normal, dass die Menschen von hier nach Offenbach fahren und anders herum. Es ist schon eine Herausforderung, aber wir werden das konstruktiv hinkriegen.

Werden Sie als Stadtdekan auch bald auf die anderen Religionsgemeinschaften zugehen?

Natürlich, und sehr gerne. Ich habe noch lebhaft in Erinnerung, wie ich einmal mit Studierenden in der deutschsprachigen Moschee am Güterplatz war. Zu erleben, mit welchem Ernst dort an Gott geglaubt wird und Gott verehrt wird, das ist schon spannend. Bei einer Predigt darüber, wie Gott die Welt geschaffen hat, ist auch gar nicht bei allen Passagen klar, in welche Religion sie gehört. Das finde ich sehr bereichernd und wichtig, ohne dass wir natürlich Anlass hätten, unser eigenes Profil zu nivellieren.

Was genau ist denn „unser eigenes Profil“?

Das ist die zentrale Rolle, die Jesus Christus, sein Leben, seine Botschaft und sein Sterben für unseren Zugang zu Gott hat. Die christliche Wahrheit ist kein Buch, sondern eine geschichtliche Person. Das heißt: Für uns ist die Übersetzung des Glaubens in das heutige Leben genauso authentisch wie der Urtext der Bibel, den wir ja gar nicht mehr haben. Wir glauben, dass durch den Heiligen Geist die Übersetzung möglich ist. Für Muslime zum Beispiel ist das anders, für sie ist der Koran im Urtext das Maßgebliche.

Sie wollen sich, wenn es nötig ist, auch in der Stadt mit deutlichen Inhalten zu Wort melden. Welche Themen stehen da denn momentan an?

Man muss sich immer sehr genau überlegen, wann man als Kirche in die öffentliche Kontroverse geht. Ich denke, das ist immer dann nötig, wenn die Menschenwürde aus dem Blick gerät. Das könnte zum Beispiel die Frage von Kommerz am Sonntag sein, aber hier in Frankfurt gibt es relativ viel Verständnis für die große Bedeutung eines arbeitsfreien und halbwegs konsumfreien Sonntags. Ich bin durchaus ein Mensch, der dort, wo es drauf ankommt, etwas sagt und auch bereit ist, die Kritik dafür einzustecken. Aber eine öffentliche Stellungnahme verhindert manchmal auch das persönliche Gespräch und nagelt Menschen auf eine Position fest, obwohl sie vielleicht auch bereit wären, anders zu agieren.

Artikelinformationen

Beitrag von , , veröffentlicht am 2. September 2014 in der Rubrik Menschen, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.

Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.