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Von – 30. November 2014

Das Kreuz unter der Kleidung

„Ich höre von religiöser Verfolgung häufiger und intensiver als ich je dachte“ sagt Anke Leuthold. Die Pfarrerin hilft in der Erstaufnahmeeinrichtung der Cargo City Süd Flüchtlingen, die über den Flughafen nach Deutschland kommen.

Fenster nur zum Innenhof: Die „Unterkunft für Flüchtlinge im Flughafenasylverfahren“ ist strikt nach außen abgeschottet. Foto: Boris Roessler/picture-alliance

Fenster nur zum Innenhof: Die „Unterkunft für Flüchtlinge im Flughafenasylverfahren“ ist strikt nach außen abgeschottet. Foto: Boris Roessler/picture-alliance

Die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in der Cargo City Süd des Frankfurter Flughafens ist eine abgeschlossene Welt. Eine Kläranlage liegt in der Nähe, Laster fahren vorbei. 1375 Flüchtlinge, die Asyl beantragt haben, warteten dort 2013 auf die Erlaubnis, nach Deutschland einreisen zu dürfen. Tage-, wochen-, manchmal monatelang.

Von Deutschland sehen sie nur den Himmel, die Fenster sind alle nach innen zum Hof hin ausgerichtet. Doch all das darf ich als Journalistin nicht sehen. „Menschen, die sich nach einer oftmals langen Flucht erstmals in Sicherheit wägen“, will das Land Hessen „nicht mit Medienvertretern konfrontieren“. Allerdings erhielt auch eine Studierendengruppe zukünftiger Flüchtlingsberaterinnen und -berater keine Besuchsgenehmigung, und auch niederländische Kirchenleute nicht.

Pfarrerin Anke Leuthold. Foto: Rolf Oeser

Pfarrerin Anke Leuthold. Foto: Rolf Oeser

Es sei schwer, jemanden mit hineinzunehmen an ihren Arbeitsplatz, sagt Pfarrerin Anke Leuthold. Ihr begegnen dort Menschen aus aller Welt: Frauen, die von Anhängern der radikal islamischen Boko Haram in Nigeria misshandelt wurden, verfolgte Christen aus Irak und Iran, eine Frauenrechtlerin aus Ägypten, ein Diplomat aus Afghanistan, ein Intensivmediziner aus Syrien.

„Ihre Freiheit und Sicherheit haben sie längst verloren, für die Flucht müssen viele ihre Häuser verkaufen.“ Meist kämen Leute mit mittlerem und hohem Bildungsstand, keine Wirtschafts-, sondern politische Flüchtlinge.

Nur wenige Verfolgte können Deutschland heute noch über den Flughafen erreichen. Die Kontrollen werden immer strenger, und ohne Schlepper, die in der Regel 5000 bis 10 000 Dollar für die Fluchthilfe verlangen, geht nichts mehr. Trotzdem landeten im ersten Halbjahr 595 Flüchtlinge auf Rhein-Main. Manche zeigen der Pfarrerin verstohlen ihr Kreuz, das sie unter der Kleidung verborgen tragen, und flüstern, dass sie gerne mit ihr sprechen würden. „Ich höre von religiöser Verfolgung häufiger und intensiver als ich je dachte“ sagt Leuthold.

Als Christin wird die Flüchtlingspfarrerin in einer Weise gefordert, „zu beten, zu segnen, Mut zu machen durch die Zusage der Begleitung Gottes, wie ich es in unserer säkulareren Gesellschaft selten erlebe“. Und immer wieder ist sie davon berührt, „wie Menschen in so furchtbaren Situationen ihren Glauben nicht verlieren“. Ihren Auftrag am Flughafen empfindet die 39-Jährige als „Geschenk“, auch wenn sie anfangs manchmal im Auto geweint hat.

Um den jungen Tamilen aus Sri Lanka zum Beispiel, der massiv gefoltert worden war und nun nach Italien überstellt wurde, weil er dort zuerst europäischen Boden betreten hatte. Denn Leuthold weiß, dass Asylsuchende in Italien fast immer obdachlos sind und keine Arbeit finden: „Menschen, die bei uns Schutz suchen, sollten nicht in Länder der EU zurückgeschoben werden, in denen sie keine Chancen auf Obdach und Einkommen haben.“

Innereuropäische Freizügigkeit fordern die Kirchen auch für Flüchtlinge. Und sie lehnen das Flughafenasylverfahren mit verkürzten Einspruchsfristen gegen negative Asylbescheide ab. Zumindest unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und besonders schutzbedürftige Menschen wie Schwangere oder Traumatisierte, so fordern sie, sollten direkt nach Deutschland einreisen können.

Über die Situation von Flüchtlingen berichtet Anke Leuthold manchmal in Vorträgen oder bei Gottesdiensten. Vielleicht erzählt sie dann auch die Geschichte des alten Irakers aus Mossul, dem biblischen Niniveh. Aus dieser Stadt, in der seit der Urchristenheit Christen leben, wurden fast alle Christen von der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ vertrieben. „Wir waren an diesem Tag nur zu zweit beim Gottesdienst“, erzählt Leuthold. „Nachdem wir vor dem Altar gekniet hatten, schlug er die Bibel auf und hielt mir mit weinenden Augen einen Gottesdienst in aramäisch, der Sprache Jesu. Er war so bewegt, endlich wieder Gottesdienst feiern zu können, ohne bedroht zu werden. Sein Name ist Hani.“

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 30. November 2014 in der Rubrik Menschen, erschienen in der Ausgabe , .

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Susanne Schmidt-Lüer ist Redakteurin und schreibt vor allem über Sozialpolitik, Kirche, Alter und wirtschaftspolitische Themen.

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