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Aktuell

Von – 17. November 2014

Keine Pflicht zur Organspende

Was bedeutet Hirntod? Wie stehen Religionen zum Thema Organtransplantation? Eine differenzierte Debatte über Organspenden haben die Evangelischen Frauen in Deutschland angemahnt. Der Frankfurter Stadtverband lud nun zu einer Diskussionveranstaltung in die Dornbuschgemeinde ein.

Diskutierten in der Dornbuschgemeinde: Der Mediziner und Theologe Fred Salomon, Karsten Gehmlich von der Deutschen Stiftung Organtransplantation, die Vorsitzende des Frankfurter Stadtverbandes der Evangelischen Frauen, Helga Häfner, sowie Pfarrer Kurt Schmidt vom Zentrum für Ethik in der Medizin (von links nach rechts). Foto: Antje Schrupp

Diskutierten in der Dornbuschgemeinde: Der Mediziner und Theologe Fred Salomon, Karsten Gehmlich von der Deutschen Stiftung Organtransplantation, die Vorsitzende des Frankfurter Stadtverbandes der Evangelischen Frauen, Helga Häfner, sowie Pfarrer Kurt Schmidt vom Zentrum für Ethik in der Medizin (von links nach rechts). Foto: Antje Schrupp

„Für Organspende gibt es keine Altersgrenze“ sagt Karsten Gehmlich von der Deutschen Stiftung Organtransplantation und berichtet von einer 82-jährigen Organspenderin, deren Leber, Lunge und beide Nieren vier anderen Menschen das Überleben oder eine bessere Lebensqualität ermöglicht haben. Der Stadtverband Frankfurt der Evangelischen Frauen hatte in die Dornbuschgemeinde zu einem Diskussionsabend über ethische Aspekte der Organspende eingeladen. Anlass war ein aktuelles Positionspapier der Evangelischen Frauen in Deutschland, das eine differenziertere Debatte über das Thema anmahnt.

Intensivmedizin erlaubt „Sterben in Zeitlupe“

Dass Organspenden auch bei alten Menschen noch sinnvoll sein können, überraschte an diesem Abend viele. Ebenso, wie speziell die Umstände sein müssen, damit eine Organspende überhaupt in Frage kommt: nämlich nur bei Menschen, die auf der Intensivstation eines Krankenhauses versterben, während sie an einem Beatmungsgerät angeschlossen sind. Wer zuhause, im Pflegeheim oder auch auf deiner normalen Krankenhausstation verstirbt, kommt aus medizinischen Gründen nicht in Frage.

Die ethische Frage, die die Evangelischen Frauen in ihrem Papier diskutieren, lautet: Was genau bedeutet der Hirntod? Ist der Mensch dann wirklich tot, wo doch – außer dem Gehirn – alle Organe noch funktionieren? Auf diese Frage ging Fred Salomon, emeritierter Medizinprofessor und studierter Theologe ein. Er beschrieb die Intensivmedizin als eine Methode, die es ermöglicht, den Sterbeprozess quasi auf „Zeitlupe“ zu verlangsamen.

Wenn das Gehirn aussetzt, ist nichts mehr zu machen

Ausnahmslos alle Menschen sterben an einer von drei Ursachen: Herz-, Lungen- oder Hirnversagen. Ohne Intensivmedizin zieht der Ausfall eines dieser Organe unweigerlich in kürzester Zeit auch das Versagen der anderen und damit den definitiven Tod nach sich. Doch heute ist es möglich, Herz und Lunge mit Hilfe von Apparaten künstlich weiter funktionieren zu lassen; ihr Versagen führt also nicht mehr automatisch zum Tod. Nur wenn das Gehirn versagt, lässt sich nichts mehr machen.

Ob nun ein Mensch, dessen Körper mit Hilfe von Apparaten weiter am Funktionieren gehalten wird, während das Gehirn keinerlei Aktivität mehr zeigt, nun tot oder noch lebendig ist, dazu gebe es keine absolute Wahrheit, es sei letztlich eine Frage der Perspektive, sagte Pfarrer Kurt Schmidt vom Frankfurter Zentrum für Ethik in der Medizin. Auf jeden Fall seien sich alle einig, dass diese Situation irreversibel ist.

Die Autoritäten fast aller Religionen verträten mehrheitlich die Ansicht, dass Organspenden ethisch vertretbar seien, sagte Salomon. Selbst die Zeugen Jehovas, die Bluttransfusionen ablehnen, weil ihrer Ansicht nach im Blut die Seele wohnt, hätten keine Einwände gegen Organtransplantationen, weil Lungen, Herz oder Nieren zunächst mit einer Lösung durchspült und daher vom Blut des Spenders weitgehend gereinigt werden. Auch in Religionen, die die körperliche Unversehrtheit für das Leben nach dem Tod als wichtig erachten, wie etwa der Katholizismus oder der Islam, gelte Organspende mehrheitlich als erlaubt, weil damit anderen Menschen etwas Gutes getan werde.

Es darf keine Pflicht zur Organspende geben

Positionen, die hingegen soweit gehen, Organspende als einen Ausdruck von Nächstenliebe anzusehen, hält Pfarrer Schmidt für problematisch: „Es gibt eine moralische Pflicht zur Nächstenliebe, aber es kann keine Pflicht zur Organspende geben.“

Die ethische Entscheidung, ob man selbst einer Organspende zustimmt oder nicht und wenn, unter welchen Umständen, müsse jeder Mensch selbst treffen. Wichtig sei es, in der Familie und mit Angehörigen darüber zu sprechen, denn sie werden im Fall des Falles gefragt und müssen eine Entscheidung treffen. Oder man kann den eigenen Willen schriftlich, zum Beispiel in einem Organspendeausweis, festhalten.

Das Ausfüllen eines solchen Ausweises ist auch eine gute Gelegenheit, um sich mit dem Thema inhaltlich auseinanderzusetzen und sich eine informierte Meinung zu bilden. Um diesen Prozess differenzierter zu machen, haben die Evangelischen Frauen in Deutschland einen eigenen Vordruck für einen Organspendeausweis ausgearbeitet, der Anfang kommenden Jahres veröffentlicht werden soll. Ihr Positionspapier ist bereits jetzt im Internet abrufbar.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 17. November 2014 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.