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Von – 5. Januar 2015

Heimat in Zeiten der Globalisierung

In einer globalisierten Welt ist Heimat nicht mehr der Ort, wo man zufällig geboren wird. Sondern ein Ort, den man sich bewusst wählt. Trotz aller Mobilität haben die meisten Menschen nämlich ein Bedürfnis danach, sich in einer Stadt oder einem Quartier heimisch zu fühlen.

Am Riedberg haben viele Menschen eine neue Heimat gefunden. Doch um sich wirklich an einem Ort heimisch zu fühlen, braucht es mehr als eine Adresse. Foto: Rolf Oeser

Am Riedberg haben viele Menschen eine neue Heimat gefunden. Doch um sich wirklich an einem Ort heimisch zu fühlen, braucht es mehr als eine Adresse. Foto: Rolf Oeser

Nach dem Mauerfall wollten Daniela und Steffen nur eines – aus Jena weg. Gleich 1989 siedelten sie nach London um und fassten dort erfolgreich Fuß. Der alten Heimat trauerte das junge Paar nie hinterher. Wurden sie gefragt, woher sie kommen, antworteten sie völlig unsentimental: aus einem Land, das nicht mehr existiert.

Irgendwann machte sich bei den beiden jedoch ein diffuses Unbehagen breit. Die Stadt an der Themse hatte ebenso an Reiz verloren wie das karriereorientierte Leben. Durch das inzwischen geborene Kind gewann außerdem der Kontakt zu den Großeltern an Gewicht. Die Sehnsucht nach einem überschaubaren Alltag mit Freunden um die Ecke wurde immer stärker. 2003 verlagerten die beiden schließlich ihren Wohnsitz nach Berlin. Die Rückkehr nach Deutschland stellte sich allerdings als frustrierende Erfahrung heraus.

Im Rahmen einer von der Evangelischen Akademie Frankfurt organisierten Veranstaltungsreihe zum Thema „Heimat Riedberg“ führte der Soziologe Jörg Dürrschmidt mit dem Beispiel von Daniela und Steffen vor Augen, dass heimisch werden kein Automatismus ist – vor allem, wenn es um eine Heimat geht, die man sich selbst wählt, und in die man nicht hineingeboren wird.

Dürrschmidt, der an einer Ludwigsburger Hochschule zu den Themen Globalisierung und Transnationalisierung forscht, machte in seinem Vortrag deutlich, dass es dauert, bis Menschen irgendwo heimisch werden, bis das Leben an einem Ort zur Normalität wird und sich eine „sozial-moralische Ordnung“ herauskristallisiert. Bis dahin hätten viele zunächst mit „innerer Zerrissenheit und dem Gefühl, nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein“ zu kämpfen.

Im Falle von Daniela und Steffen habe sich diese Übergangsphase nach ihrer Ankunft in Berlin über drei Jahre hingezogen. Erst dann sei bei ihnen die Einsicht gereift, „dass man sich Zugehörigkeit aktiv erarbeiten muss“, so Dürrschmidt. Es habe dann noch ein paar Jahre gedauert, bis das Paar „den Wechsel vom Stand-by-Modus zum Einwohn-Modus“ endgültig vollzogen hatte.

Im Zeitalter der Mobilität werde „der komplexe Prozess des Heimischwerdens“ immer wichtiger, so der Soziologe. Die Globalisierung habe zwar die Grenzen zwischen Heimat und Welt verschoben. Aber für die meisten Menschen sei nach wie vor „ein Mindestmaß an Ortsbindung von Nöten“. Die habe weniger mit Dauerpräsenz zu tun, als mit dem Bedürfnis „nach vertrauter Umgebung und Stützstruktur“.

Dieses Bedürfnis der „Heimatsehnsucht“ sei eine „kreative Form des Heimwehs“. Es gehe dabei nicht um die nostalgische Überhöhung des Herkunftsortes, sondern um die „Suche nach der richtigen Lage im sozialen Raum“. In einer globalisierten Welt müssten Menschen ihren „Lebensbogen vom Herkunftsort zum Sehnsuchtsort“ schlagen und damit den Begriff „Heimat“, der auch in der Soziologie lange vernachlässigt worden sei, neu füllen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 5. Januar 2015 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe , .

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