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Von – 28. Januar 2015

Menschen, die man nicht vergisst

Erinnerung an Anicka aus Prag. Eine Geschichte, aufgeschrieben aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz.

Foto: al62/Fotolia.com

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Vor 70 Jahren wurde Auschwitz befreit. Ich bin schon sehr alt, aber diese Erinnerungen drücken mich von Mal zu Mal mehr. Und deshalb schreibe ich hier eine wunderbare Geschichte auf, die ich erlebt habe.

Ja, es gibt sie wirklich: Menschen, die man nicht vergisst. So wie Anicka. Sie stammte aus Prag. Sie war von den Nazis in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück verschleppt worden. Ich lernte sie kennen, als sie zu einer Geburtstagsfeier nach Frankfurt kam, sie und noch ein paar Freundinnen, Frauen, die die Schrecken des KZ’s überlebt hatten, und die nun aus Frankreich, aus England, aus Norwegen angereist waren.

Bei allen Feierlichkeiten blieb auch Zeit für einen Bummel durch Frankfurt. Na, und wo endet so etwas? Im Café! Alle waren sie caféleidenschaftlich, und sie erzählten, wie sehr sie Kaffee und Kuchen genießen – in allen Ländern auf andere Weise. Sie hatten sich lange nicht gesehen, und sie hatten viel miteinander zu reden. Und sie wechselten mit großer Selbstverständlichkeit vom Französischen ins Englische, manchmal – so kam es mir vor – verstanden sie sich auch auf Tschechisch und Norwegisch.

Deutsch sprachen sie, wenn sie mich ansprachen. Aber auf einmal wandte sich eine direkt an mich: „Weißt du, wir sprechen nicht so gut deutsch. Wir haben es zuletzt im Konzentrationslager gesprochen. Wir sind nicht in der Übung. Deshalb verfallen wir immer wieder in andere Sprachen.“

Sie sagte das ganz sachlich, freundlich. Aber mir wurde mit einem Mal klar, was das bedeutete. Schon die Sprache war Erinnerung – schlechte Erinnerung: an Böses, an Hass, an Not und Tod.

Sie redeten weiter. In irgendeiner Sprache. Bis Anicka sie unterbrach: „Hört mal, sprecht mal deutsch! Damit Brigitte uns versteht!“

Und tatsächlich – sie schalten um und sprechen meine Sprache. Trotz allem.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 28. Januar 2015 in der Rubrik Menschen, erschienen in der Ausgabe .

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Brigitte Babbe ist Mitglied der Versammlungsleitung des Frankfurter Kirchenparlamentes.