Die Kirche sollte Menschen mehr entgegenkommen, die ihre eigenen Vorstellungen und Erwartungen davon haben, wie sie den christlichen Glauben leben möchten, ist der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung überzeugt.
Vor der Synode des Evangelischen Stadtdekanats Frankfurt sprach Jung gestern Abend über Schlussfolgerungen aus der jüngsten Mitgliedschaftsstudie der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Religion ist Thema im Familien- und Bekanntenkreis
So würden Menschen heute fast ausschließlich innerhalb der Familie oder im engsten Bekanntenkreis über religiöse Sinnfragen sprechen, nur ein knappes Viertel der Befragten gab an, darüber in einer Gemeinde oder im kirchlichen Kontext zu sprechen. Es sei daher zu fragen, ob es weiterhin angemessen sei, religiöse Feiern wie zum Beispiel Taufen ausschließlich im Gemeinderahmen anzubieten. Es sei verständlich, wenn Menschen den Wunsch haben, solche Feiern dort abzuhalten, wo sie am ehesten die Familie und den Freundeskreis zusammenrufen können.
Tatsächlich erfreuen sich in Frankfurt zum Beispiel Taufen in der Commerzbank-Arena großer Beliebtheit, vor allem unter Fußballfans. Jung verwies zum Beispiel auf die Motorradfahrer, die regelmäßige Motorradgottesdienste feiern. „Wir müssen Räume für selbstbestimmte Mitgliedschaft öffnen“, sagte Jung vor den Delegierten der Frankfurter Gemeinden, „und nicht alles gleich parochial normieren.“
Zugleich könnten allerdings die Bedürfnisse der Menschen nicht der einzige Maßstab kirchlichen Handelns sein, sondern das sei „immer zuerst unser evangelischer Auftrag.“
Mehr in der Öffentlichkeit präsent sein
Weiterhin forderte Jung die Gemeinden auf, mehr in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Zwar seien Seelsorge und persönliche Begegnung nach wie vor wichtig, genauso wichtig sei es aber, dass auch die distanzierteren Kirchenmitglieder die Kirche noch wahrnehmen, „denn sonst halten sie sie für unbedeutend. Wir sollten bewusster das gestalten, was die Kirche sichtbar macht, uns nach außen in die Gesellschaft hinein orientieren und dort Identifikationspunkte schaffen“, so Jung. Das könnten Kirchengebäude ebenso sein wie die Präsenz von Pfarrerinnen und Pfarrer als „öffentliche Personen“ oder die Beteiligung am gesellschaftlichen Diskurs über aktuelle Themen.
Gleichzeitig warnte Jung davor, zurückgehende Mitgliederzahlen automatisch als Folge schlechter Arbeit zu interpretieren. „Hier handelt es sich um große gesellschaftliche Trends, an denen man mit einfachen Handlungsoptionen nichts ändern kann.“ Es sei zu akzeptieren, dass es eine wachsende Zahl von Menschen gibt, „die uns nicht brauchen und die auch ohne uns glücklich sind.“
Kirchendistanzierte „nicht einfach abschreiben“
Die Aufgabe der Kirche sei es, innerhalb der gegebenen Gesellschaftsstrukturen, „in die Gott uns gestellt hat“, ein angemessenes Bild von Kirche zu entwickeln.
Wichtig sei heute, diejenigen Menschen, die sich in der Kirche engagieren, zu stärken und zu fördern, denjenigen, die nur punktuell oder nach eigenen Vorstellungen mitmachen wollen, dafür Möglichkeiten zu bieten, aber auch diejenigen Kirchenmitglieder, die nur noch lose verbunden sind, „nicht einfach abzuschreiben“, sondern sie mit ihren Erwartungen und Ansprüchen ernst zu nehmen.