Die Deutschen gelten als reisefreudig. Oder sind sie ein Volk von Sitzenbleibern? Auf den Gedanken kann man kommen, wenn man einmal mehr auf die Wendung stößt: „Ihr Anliegen habe ich gerne weitergeleitet, gegebenenfalls wird man sich bei Ihnen melden.“
Übersetzt heißt es: „Ihre Idee ist so bewegend, dass ich sie besser weiterwandern ließ. Am Ende finge ich noch selber an zu wandern.“ Was wäre daran schlimm? Man müsste nicht mehr so oft verreisen, weil man bereits in Bewegung wäre. Man wendete sich dem anderen zu, stünde auf. Es wäre der Aufstand der Anfänger.
Ein Fest! Der erste Schritt ist wie eine Premiere. Die Grenze wird passiert, weil man der einen in die andere Welt eintritt. Und zurückgelassen wird ein Land, das aus standardisierten Abläufen besteht.
Man bricht dorthin auf, wo es noch keine Forderungen gibt. Frei bin ich, weil ich zum Dirigent meiner Bewegungen werde. Natürlich macht das Unbekannte nervös: Was, wenn ich zur Rede gestellt werde? Setze ich mich gleich wieder hin? Und was, wenn ich zu singen beginne, weil ich plötzlich so viel Luft bekomme?
Keine Sorge: Wer aufsteht und geht, wird bemerken: Die Sorgen treten nach und nach in den Hintergrund. Denn was vorher ungeheuer mächtig war, wird klein. Singen tut nicht weh. Und die Ruhe wird an der Seite der Aufständigen gehen.
Unkalkulierbar und schön
Ein Aufbruch allerdings ist immer auch ein Bruch. Und ein Bruch ist selten glatt. Im Alten bleiben und zugleich das Neue wagen, das ist nicht möglich. So erfrischt der erste Schritt und kann sich doch beklemmend neu anfühlen.
Man lässt andere zurück und auch etwas von sich selbst. Oft man nun mit anderen, die man kennt, zu kennen meint, vielleicht aber auch noch überhaupt nicht kennt. Und man wird dem anderen und auch sich als jemanden begegnen, den man bislang so noch gar nicht kannte.
Aber man darf sein, was man sich womöglich lange versagte: ein Anfänger, herrlich ungeübt. Nichts steht fest – auch ich selber nicht. Ich breche mit dem, was vorher war, und sei es nur einen Augenblick, für dieses eine Mal und eine unkalkulierbar schöne Geste.
So wagt man sich in einen Anfang, der den Zauber hat, das Ende nicht zu kennen.
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Von Georg Magirius ist das Buch erschienen: Schritt für Schritt zum Horizont, Pilger-Werkbuch, Herder 2015.