Hinweis

Diese Website wurde am 28. November 2017 archiviert. Neues Online-Angebot: Evangelische Kirche in Frankfurt.

Aktuell

Von – 12. Juni 2015

Das Langzeitgedächtnis der Gemeinde

Ein Küster ist mehr als ein Hausmeister, trotzdem ist der Berufsstand gefährdet. Aber nicht nur die Mariengemeinde in Seckbach kann auf einen wie Johann Kartmann eigentlich kaum verzichten.

Sonntags vor dem Gottesdienst steckt Küster Johann Kartmann in der Marienkirche in Seckbach die Liednummern. Foto: Ilona Surrey

Sonntags vor dem Gottesdienst steckt Küster Johann Kartmann in der Marienkirche in Seckbach die Liednummern. Foto: Ilona Surrey

In der Festschrift von 1985 kann man noch sehen, wie der Innenraum der Marienkirche vor dem zweiten Weltkrieg aussah. „Ich hebe alle Festschriften auf“, sagt Johann Kartmann, der seit dreißig Jahren Küster in der Seckbacher Kirche ist und viele Umbauten miterlebt hat: Er ist das Langzeitgedächtnis der Gemeinde.

Vor allem auch in praktischer Hinsicht. Der Küster weiß, welches Benzingemisch in den Rasentraktor muss, und wie man zu gegebener Zeit den großen Weihnachtsstern in der Kirche einhängt. Er kann die Alarmanlage im Gartensaal neu einstellen, wenn sie versehentlich ausgelöst wurde, und bestückt die Erste-Hilfe-Kästen neu, wenn es nötig wird. Er programmiert das Glockenläuten und füllt Wasser in die Heizung, weil sie sonst kaputtgeht..

„Diese Art Spezialwissen könnte er vielleicht auch an Ehrenamtliche weitergeben“, sagt Pfarrerin Ute Pietsch. „Aber jemand mit einem festen Vertrag kann viel zuverlässiger sein als jemand, der kein dauerhaftes Amt hat.“ Die Kontinuität bringt Ruhe in die Gemeinde und lässt ihr Zeit für andere Aufgaben. Zumal der Küster auch Ansprechpartner für insgesamt 135 Ehrenamtliche ist. In vielen anderen Gemeinden ist das Küsteramt gefährdet. „Für die Gemeinde Seckbach mit ihrer weitläufigen Außenfläche und ihrer wöchentlichen Abendmahl-Tradition stand nie infrage, dass sie einen Küster braucht“, sagt Pfarrerin Pietsch.

Als Kartmann 1985 mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern von Siebenbürgen nach Frankfurt zog, war sein Schwiegervater Küster in Sachsenhausen und machte ihn auf die freie Stelle in Seckbach aufmerksam. „Ich war damals sehr froh über die Stelle in der Kirche und bin es noch“, sagt Kartmann.

Der gelernte Installateur hat viele Küster-Fortbildungen besucht. Er kennt sich mit Sicherheitsvorschriften ebenso gut aus wie in der Aufteilung der Bibel. Jeden Montagmorgen macht er zunächst einen Rundgang durch die Kirche, das Gemeindehaus, den Gartensaal, den Kindergarten und über das große Außengelände. „Dann sehe ich ja, wenn etwas nicht stimmt“, sagt er. Da steht vielleicht eine Heizung auf Fünf oder eine Gemeinde-Gruppe hat doch nicht so aufgeräumt, wie es vereinbart war.

Eine Zeitlang haben Randalierer immer wieder Mülltonnen vor der Kirchentür ausgekippt. Zweimal hat der Küster sogar Einbrecher gestört, die abends den Safe im Gemeindebüro knacken wollten: Sie verschwanden zum Glück durchs Fenster, als sie ihn hörten. Ein anderes Mal wollten die Glocken gar nicht mehr aufhören zu läuten: Der Küster war in Urlaub und ein Ehrenamtlicher hatte sie falsch programmiert: Da half erstmal nur noch das Ausknipsen des Hauptstromschalters.

Kartmann fährt nicht nur in den Baumarkt, repariert, was anfällt, und hilft im Kindergarten, sondern putzt auch Gemeinderäume und Kirche. „Was wir inhaltlich sagen wollen, soll auch in der Form deutlich werden“, unterstreicht Ute Pietsch. „Wenn unsere schön renovierte Kirche für den Sonntag vorbereitet ist, steckt da viel Liebe drin.“

Jeden Sonntag um halb zehn geht Kartmann in die Kirche, richtet das Abendmahl und den Kirchenkaffee, steckt die Liednummern, schaltet das Mikro ein und zündet die Kerzen an. „Meine Familie war immer kirchlich“, sagt er schlicht. „An der Art, wie jemand das Abendmahl oder eine Taufe vorbereitet, spürt man, ob er ein inneres Wissen hat und mit dem Glauben verbunden ist“, erklärt die Pfarrerin. Nicht zuletzt hat ihr Küster immer ein offenes Ohr: Wenn etwa jemand nach einer Beerdigung noch einmal in die Kirche kommt. Oder sich über die Taufe seines Enkels freut. Johann Kartmann kennt die Menschen in Seckbach. Weil er schon solange dort wohnt und in der Gemeinde arbeitet.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 12. Juni 2015 in der Rubrik Menschen, erschienen in der Ausgabe , .

Artikel teilen: E-Mail Facebook Twitter Google+

Stephanie von Selchow ist Redakteurin von "Evangelisches Frankfurt".