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Von – 29. Juni 2015

Schule für alle: Die Frankfurter „Inti“ wird dreißig

Kleine Klassen, viele unterschiedliche Kinder, ein eigener Hund und keine Noten: Wer würde nicht von so einer Schule träumen? In der Integrativen Schule Frankfurt ist das seit dreißig Jahren Wirklichkeit.

Miteinander Lernen: Die evangelische Integrative Schule in Frankfurt praktiziert seit dreißig Jahren Inklusion. Foto: Rolf Oeser

Miteinander Lernen: Die evangelische Integrative Schule in Frankfurt praktiziert Inklusion schon seit dreißig Jahren. Foto: Rolf Oeser

Heute würde man sie wahrscheinlich nicht mehr „Integrative Schule“ nennen, sondern „Evangelische Inklusive Schule“. Denn die Diskussion über die Haltung der Mehrheitsgesellschaft zu Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen hat sich im Lauf von dreißig Jahren fortentwickelt: So lange gibt es in Frankfurt schon die „Inti“ – eine Schule, in der „behinderte“ und „nicht behinderte“ Kinder gemeinsam unterrichtet werden.

Klingt der früher gebräuchlichen Ausdruck „Integration“ ein bisschen so, als würde es es eine „normale“ Gesellschaft von Gesunden geben, in die hinein Menschen mit Behinderung „integriert“ werden sollen, so wird mit dem Begriff „Inklusion“ die Perspektive gewechselt: Jetzt geht es um die Frage, ob die Gesellschaft so gestaltet ist, dass alle Menschen, mit welchen Besonderheiten auch immer, in ihr gut leben können. Wenn jeder Mensch – ob mit oder ohne Behinderung – überall dabei sein kann, im Klassenzimmer, am Arbeitsplatz, im Wohnviertel, in der Freizeit, dann ist das gelungene Inklusion.

Inklusion gilt inzwischen als Menschenrecht

Es ist also ein hoher Anspruch, den die kleine evangelische Schule in der Ginnheimer Platensiedlung da an sich stellt. Das weiß auch Schulleiter Lutz Kunze. In einer inklusiven Gesellschaft, so sagt er, sei es normal, verschieden zu sein. Alle sind willkommen, und ihre jeweiligen Besonderheiten gelten nicht als Last, sondern als Bereicherung. Laut der UN-Behindertenrechtskonvention ist Inklusion inzwischen als Menschenrecht festgeschrieben.

Deutschland hat diese Vereinbarung unterzeichnet, mit der alltagspraktischen Umsetzung von Inklusion wird aber erst langsam begonnen. Da ist es gut, dass es Einrichtungen wie die Integrative Schule gibt, denn hier wurden wertvolle Erfahrungen gesammelt. Getragen wird die Schule von der Französisch-Reformierten Gemeinde und dem Evangelischen Regionalverband Frankfurt. Ihrem Konzept entsprechend lernen hier schwer und mehrfach behinderte Kinder gemeinsam mit anderen – und im Lauf von drei Jahrzehnten ist das hier eben tatsächlich schon „ganz normal“ geworden. So normal wie es auch ist, sich gegenseitig zu helfen.

Gemeinsamer Unterricht hilft allen Kindern

Die Erfahrung hat erwiesen, dass ein solcher gemeinsamer Unterricht allen Kindern hilft. Er fördert nicht nur das soziale Lernen, auch die Vermittlung von Wissen funktioniert auf diese Weise besser als beim klassischen Frontalunterricht. Wenn diejenigen Kinder, die den Stoff schneller verstehen, das Gelernte den anderen erklären, stabilisiert sich dieses Wissen auch für sie selbst. Pädagogische Studien haben gezeigt, dass Kinder achtzig Prozent dessen, was sie lernen, von anderen Kindern lernen. Lehrerinnen und Lehrer sind bei diesem Prozess im guten Sinne für die Moderation wichtig. „Durch den gemeinsamen Unterricht werden Leistungen eher begünstigt als behindert“, ist auch Schulleiter Kunze überzeugt. „In der Weiterentwicklung einer inklusiven Pädagogik und Didaktik liegen große Chancen für alle Schulen.“

Die Klassen an der „Inti“ sind klein und werden jeweils von zwei Lehrkräften begleitet. In jeder Klasse sind 21 Schülerinnen und Schüler, darunter vier Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Insgesamt besuchen derzeit 160 Kinder die acht Grundschulklassen, betreut von 24 Pädagoginnen und Pädagogen. Begleitend und stundenweise kommen Therapeuten und Therapeutinnen mit Schwerpunkten wie Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie hinzu. Dieser relativ gute Schlüssel kann eine Betreuung von 7.30 Uhr bis 16 Uhr sicherstellen, die in Zukunft noch verlängert werden soll.

Sozialverhalten, Wahrnehmung, Motorik und Sprache - all das können Kinder im Umgang mit einem Hund lernen. Deshalb ist der Schulhund "Confetti" vier Tage in der Woche in der Integrativen Schule. Foto: Rolf Oeser

Sozialverhalten, Wahrnehmung, Motorik und Sprache – all das können Kinder im Umgang mit einem Hund lernen. Deshalb ist der Schulhund „Confetti“ vier Tage in der Woche in der Integrativen Schule. Foto: Rolf Oeser

Als Glücksfall erwies sich auch der Umzug vor zehn Jahren aus der Nordweststadt in die Räume der ehemaligen amerikanischen Schule in Ginnheim mit ihren großzügigen Räumlichkeiten. Eine andere Besonderheit ist die Schulhündin namens Confetti. Confetti, eine „Lagotto-Romagnolo“- Hündin, bereichert das Schulleben schon seit sechs Jahren. Zuvor wurde sie durch besondere Trainings auf ihre Aufgabe vorbereitet, mit Abschlussprüfung und Zertifikat. An vier Tagen in der Woche ist sie in der Schule und hält sich sowohl in den Klassenräumen als auch sonst auf dem Schulgelände auf. Im pädagogischen Konzept heißt das „freie Interaktion“: Im Umgang mit dem Hund können bei den Kindern unterschiedliche Bereiche wie Sozialverhalten, Wahrnehmung, Lern-und Arbeitsverhalten, Motorik und Sprache gefördert werden. Die positive Wirkungen von Tieren in Schulen ist in zahlreichen Studien belegt. Damit es für die Hündin selbst nicht zu stressig wird, hat sie einen eigenen abgetrennten Liegeplatz und eine „Rückzugsbox“, die für die Kinder tabu ist.

Doppelt so viele Anmeldungen wie Plätze

Bei einer so guten pädagogischen Ausstattung, die längst nicht Standard an allen Grundschulen ist, ist es kein Wunder, dass die Liste der Anmeldungen lang: Für das kommende Schuljahr sind 85 Kinder angemeldet worden, dabei gibt es nur 42 Plätze in den beiden ersten Klassen. Neben dem nach Einkommen gestaffelten Schulgeld und dem gesetzlich garantierten staatlichen Zuschuss finanzieren auch die beiden evangelischen Trägerinnen einen Teil der Kosten.

Normale Zeugnisse mit Ziffernnoten gibt es in der „Inti“ übrigens auch nicht. „Wir schreiben einen Lern- und Entwicklungsbericht, auch nach der vierten Klasse“, sagt Kunze. Das sei auch beim Übergang auf weiterführende Schulen kein Problem. „Die wissen dann etwas von den Schülerinnen und Schülern. Wir sind für eine angemessene Rückmeldekultur. Wir Erwachsenen wollen ja auch von unseren Arbeitgebern nicht nur eine Ziffer.“

Für Lutz Kunze ist das jetzige das letzte Schuljahr. Nach 18 Jahren „Inti“ geht er in den Ruhestand. Dann will er in Georgien beim Aufbau einer Integrativen Schule helfen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 29. Juni 2015 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe , .

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Kurt-Helmuth Eimuth ist Mitglied in der Redaktion von "Evangelisches Frankfurt". Mehr über den Publizisten und Erziehungswissenschaftler ist auf www.eimuth.de zu erfahren.