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Von – 9. Juli 2015

Heimat finden

Was ist Heimat? Nach manchen deutschtümelnden Verirrungen in der Vergangenheit war diese Frage lange Zeit nicht so virulent. Heute suchen viele Menschen, die ihre eigene Heimat verloren haben, hier in Frankfurt eine neue. Heimat ist auch ein politisches Thema.

Silke Alves-Christe ist Pfarrerin in der Dreikönigsgemeinde in Sachsenhausen. Foto: Ilona Surrey

Silke Alves-Christe ist Pfarrerin in der Dreikönigsgemeinde in Sachsenhausen. Foto: Ilona Surrey

Informationen, Bilder, Geld, Daten – alles bewegt sich heute in unglaublicher Geschwindigkeit rund um den Globus. Aber gerade angesichts dieser schier unübersichtlichen Weite eines Überall und Nirgends taucht manchmal doch wieder die Sehnsucht nach Heimat auf. Nach der Sicherheit und Geborgenheit an vertrauten Orten mit vertrauten Menschen.

Viele von uns haben das Privileg, von einem sicheren Ort aus zu Auslandsaufenthalten und interessanten Reisen in alle nur erdenklichen Länder aufbrechen zu können, und dann wieder zurückzukehren. Viele andere hingegen unternehmen nur eine einzige große Reise der Hoffnung – teuer bezahlt mit allem, was sie nur hatten. Eine Reise, die oft grausam oder gar tödlich endet, mit dem Kentern eines überfüllten Bootes im Mittelmeer. Warum wird Menschen ihr Heimatland genommen? Was macht Heimat überhaupt aus?

Solche Fragen kann niemand in ein paar Sätzen beantworten. Ich möchte stattdessen an eine Novelle erinnern, das kleine biblische Buch Ruth: Weil in ihrer Heimat Bethlehem eine Hungersnot herrscht, zieht Noomi mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in das Nachbarland Moab. Die Söhne heiraten moabitische Frauen. Doch dann bricht eine Katastrophe über die Familie herein: Noomis Mann und ihre beiden Söhne sterben.

Es sieht so aus, als hätten diese vier Herren in Deutschland Heimat gefunden – die Momentaufnahme entstand in der Königsteiner Straße in Frankfurt-Höchst. Foto: Rolf Oeser

Es sieht so aus, als hätten diese vier Herren in Deutschland Heimat gefunden – die Momentaufnahme entstand in der Königsteiner Straße in Frankfurt-Höchst. Foto: Rolf Oeser

Als Witwe sieht Noomie in dem fremden Land für sich keine Zukunft und entscheidet sich, nach Bethlehem zurückkehren. Ihre beiden ebenfalls verwitweten Schwiegertöchter machen sich mit auf den Weg. Aber Noomi bittet sie eindringlich, doch in Moab zu bleiben und nicht als Ausländerinnen mit ihr nach Bethlehem zu gehen. Daraufhin kehrt die eine um, aber die andere, Ruth, sagte jene großen Worte, die sich bis heute manche Paare bei ihrer Hochzeit als Trauspruch wählen: „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“

Wie sieht nach diesem so klaren Entschluss Ruths Alltag als verwitwete Ausländerin in Bethlehem aus? Sie hat Glück, denn dort gibt es Regeln zum Umgang mit Fremden, die im Alten Testament ebenfalls überliefert sind: „Die Fremdlinge sollst du nicht bedrängen und bedrücken; denn ihr seid auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen.“ Ruth darf auf den Feldern die Ähren auflesen, die die Arbeiter beim Ernten absichtlich liegen gelassen haben. Sie hat Noomi, die ihr die ungewohnten Bräuche und Sitten des fremden Landes erklärt. Und schließlich findet sie einen Mann, aus dessen Fürsorge für die Ausländerin Liebe wird. Irgendwann hat Ruth in dem fremden Land eine neue Heimat gefunden.

Heimat ist ein sehr persönliches Thema, zu dem jeder und jede ganz eigene Erfahrungen und Empfindungen hat. Aber Heimat ist nicht allein ein privates Thema. Es ist auch ein globales, weltweites Thema. Es ist das berechtigte Anliegen eines jeden Menschen, einen Ort auf dieser Welt als Heimat erfahren zu können. Die Liebe zur Heimat ist nicht Sache eines engen Horizontes, sondern eines weiten Horizontes. Sie darf nicht beim eigenen Heimatgefühl stehen bleiben. Statt Grenzen zu ziehen soll sie Grenzen überwinden.

Statt ängstlicher Abgrenzung von Menschen, die aus anderen Ländern nach Frankfurt kommen, wünschte ich mir deshalb, wir würden beim Thema „Heimat finden“ nicht nur an uns selbst denken, sondern auf unsere Mitmenschen schauen: Hat der Mensch, der mir in der U- Bahn gegenüber sitzt oder vor mir an der Kasse steht, Heimat gefunden? Was kann ich tun, was kann ich beitragen, damit ein anderer Mensch hier Heimat findet?

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 9. Juli 2015 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Kommentare zu diesem Artikel

  • Holger App schrieb am 23. Juli 2015

    Heimat – wir sind seit dem 19. Jahrhundert gewohnt, diesen Begriff rückwärtsgewandt zu begreifen, im Sinne von Herkunft. Herkunft ist unveränderlich, unausweichliches Schicksal. Ist Heimat also determiniert, etwas Vorgefundenes?
    Die Bibel sagt uns aber, dass Heimat etwas ist, was wir in der Zukunft suchen müssen. Abram wird von Gott zum Aufbruch aus Ur gerufen; er soll eine neue Heimat finden. Psalm 119, 19 sagt, dass wir nur Gast auf Erden sind und daher im eigentlichen Sinne heimatlos. In der Nachfolge Jesu sind wir dazu berufen, diese Heimatlosigkeit zu akzeptieren: „Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ (Lk. 9, 58)
    Ich plädiere daher für einen Heimatbegriff, der zukunftsoffen und veränderbar und die Auferstehungshoffnung anknüpft:
    „Heimat ist da, wo ich beerdigt werden möchte“.