„Die Vielfalt der Religionen und Weltanschauungen ist zu einer alltäglichen Erfahrung geworden.“ Mit dieser fast banalen Feststellung beginnt ein neuer Grundlagentext der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Thema „Christlicher Glaube und religiöse Vielfalt in evangelischer Perspektive“.
Das Miteinander der Religionen im Alltag funktioniert gerade in Frankfurt alles in allem problemlos. Und doch gibt es theologische Fragen: Dürfen Menschen unterschiedlicher Religionen zusammen beten, kann es einen gemeinsamen Hochzeitgottesdienst geben, wenn ein Muslim und eine Christin heiraten? Und dann ist da noch die Gretchenfrage: Glauben alle an denselben Gott?
Grundsätzlich wird aus evangelischer Perspektive die Vielfalt der Religionen begrüßt. „Die evangelische Kirche bejaht religiösen Pluralismus aus grundsätzlichen Überlegungen und aus ihrer eigenen Sache heraus.“ Wie wertvoll das ist, wird deutlich, wenn man den Terror des „Islamischen Staates“ oder fundamentalistische christliche Sekten in Afrika oder Lateinamerika betrachtet.
Doch bei aller Wertschätzung anderer Überzeugungen lehnt die EKD auch mit Blick auf Judentum und Islam die Überzeugung ab, die drei monotheistischen Religionen würden an denselben Gott glauben. Eine solche Überzeugung setzte eine „Abstraktion“ von den Gottesbildern der drei Religionen voraus. Ebenfalls skeptisch wird die „abrahamische Ökumene“ kommentiert: Sie vernachlässige die Differenzen der religiösen Traditionen.
Den Austausch von Menschen verschiedener Religionen beschreibt der Text vielmehr im Bild der Gastfreundschaft: „Wer eingeladen ist, stellt sich auf Anlass und Art der Feier ein – so wie umgekehrt der Gastgeber seine Türen, aber auch seine gewohnten Vorstellungen großzügig öffnet.“ In allen Passagen wirbt die EKD für eine wohlwollende und respektvolle Haltung gegenüber Andersgläubigen. So dürften Muslime in Deutschland nicht nach „Maßgabe der Erscheinungsformen des Islam in außereuropäischen Ländern“ beurteilt werden. Ausdrücklich wird die Entstehung eines „westlich geprägten Islams“ begrüßt.
An vielen Stellen weitet der Text die Perspektive und spricht nicht nur von Religionen, sondern von Weltanschauungen. Damit trägt er dem Phänomen Rechnung, dass neben die Religion zunehmend nichtreligiöse und atheistische Weltdeutungen treten.
Nun ist so ein Grundlagentext weder ein politisches Programm noch eine praktische Lebenshilfe. Und doch hätte man sich an vielen Stellen eindeutigere Positionen gewünscht. Die Stärke des Protestantismus ist es, dass er Entscheidungen den Einzelnen nicht nur zubilligt, sondern auch zumutet. Doch scheint die religiöse Vielfalt im deutschen Alltag deutlich einfacher gelöst zu werden als in der akademischen Theologie.