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Von – 16. September 2015

Nicht alle jubelten

Gerade in der evangelischen Kirche sahen viele die Wiedervereinigung skeptisch. Die Kirchenhistorikerin Katharina Kunter hat die Gründe erforscht.

Großer Jubel herrschte auf den Straßen Berlins in der Nacht zum 3. Oktober 1990, dem Gründungsdatum des wieder vereinigten Deutschland. In der evangelischen Kirche ging es etwas verhaltener zu. Foto: picture-alliance / dpa

Großer Jubel herrschte auf den Straßen Berlins in der Nacht zum 3. Oktober 1990, dem Gründungsdatum des wieder vereinigten Deutschland. In der evangelischen Kirche ging es etwas verhaltener zu. Foto: picture-alliance / dpa

Die Bürgerrechtsbewegung in der DDR war aufs Engste mit der evangelischen Kirche verbunden – „und trotzdem fiel es gerade den Protestantinnen und Protestanten mit am schwersten, Freude und Dankbarkeit über die Wiedervereinigung auszudrücken“, sagt Katharina Kunter. Die Kirchenhistorikerin hat das Verhältnis der evangelischen Kirche zur deutschen Wiedervereinigung erforscht. Von Euphorie, so sagt sie, war damals nicht viel zu spüren: Als sich 1991 in Coburg zum ersten Mal eine gesamtdeutsche Kirchensynode traf, sei das ohne große Freudensbekundungen abgelaufen. Vielmehr überwog die Skepsis gegenüber dem raschen Anschluss der DDR an das gesellschaftliche System der BRD.

Es war nicht nur die Kritik an der politischen und wirtschaftlichen Ausgestaltung der Wiedervereinigung, die die protestantische Freude in jenen Tagen schmälerte. Auch zwischen der westdeutschen und der ostdeutschen Kirche gab es Verständigungsschwierigkeiten. Der Dissens bestand vor allem darin, dass viele Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler aus der DDR sich vom Westen nur unzureichend unterstützt fühlten. Sie warfen den westlichen Landeskirchen vor, sich zu eng mit der Regierung der DDR arrangiert zu haben. In der Tat hatte sich die evangelische Kirche in der Bundesrepublik – wie die Mehrzahl der progressiven gesellschaftlichen Kräfte nach der von Willy Brandt ausgerufenen neuen „Ostpolitik“ – längst mit dem Bestehen zweier deutscher Staaten abgefunden und eine gedeihliche Kooperation mit den sozialistischen Regierungen gesucht.

Aber auch in der evangelischen Kirche der DDR gab es nach der Wiedervereinigung unterschiedliche Strömungen. Viele ehemalige Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler gingen in die Politik, und nicht selten schlossen sie sich dabei der CDU an, wie etwa der Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann. Viele im Westen, die sich eher als politisch links verstanden, enttäuschte das, zum Beispiel auch Eppelmanns frühere Westberliner Partnergemeinde.

Andere aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung kritisierten hingegen die kapitalistische Ausrichtung der Wiedervereinigung und entwarfen ein eher resignatives Bild des neuen Deutschland. Viele von ihnen, zum Beispiel die Pfarrer Friedrich Schorlemmer und Heino Falcke, waren als charismatische Prediger häufig in den Medien zu sehen und hatten deshalb einen starken Einfluss darauf, wie die ostdeutsche evangelische Kirche in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.

Der protestantische Rückblick auf die vergangenen 25 Jahre mag aber auch deshalb so nüchtern ausfallen, weil sich eine große Hoffnung nicht erfüllt hat: Nämlich die, dass die bedeutende Rolle, die Gemeinden, Pfarrer und Kirchenmitglieder bei der friedlichen Revolution gespielt hatten, auch der Kirche als Institution wieder Aufwind verschaffen würde. Aber die Menschen in Ostdeutschland sind nicht wieder eingetreten. Selbst eine so herausragende Rolle, wie sie die Kirche in der DDR vor 1989 gespielt hat, ist offensichtlich nicht in der Lage, Säkularisierungsprozesse aufzuhalten.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 16. September 2015 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.