Wie steht es um das Verhältnis von Religion und Literatur? Sybille Lewitscharoff und Karl-Heinz Ott lasen auf Einladung der Evangelischen Akademie im Literaturhaus.
Vier erwachsene Kinder kommen nach dem Tod ihres Vaters zusammen, um das Erbe zu verteilen. Diskutiert werden muss auch die Beerdigung: traditionell christlich? Auch wenn eigentlich niemand mehr daran glaubt? Soll der Ablauf selbst gestaltet werden oder greift man auf überlieferte kirchliche Riten zurück?
Diese Szene aus seinem aktuellen Buch „Auferstehung“ las der Schriftsteller Karl-Heinz Ott bei einem Abend im Literaturhaus, zu dem die Evangelische Akademie Frankfurt eingeladen hatte. Eine „Renaissance religiöser Wahrheiten in der Literatur“, wie der Titel der Veranstaltung lautete, belegte zumindest diese Passage nicht. Eher scheint sich die Literatur mit der Auflösung religiöser Wahrheiten zu beschäftigen.
Sybille Lewitscharoff wiederum bearbeitet in ihrem aktuellen, noch nicht erschienenen Roman das Thema der Wunder und des Umgang ihnen. Der Plot: Bei einer internationalen Tagung von Dante-Forschern in Rom geschieht ein Pfingstwunder. Alle Anwesenden können plötzlich die Sprachen der anderen verstehen, und damit noch nicht genug: Sie werden gen Himmel entrückt und verschwinden, auch das Personal, auch der Hund, nur einer nicht – ein Professor aus Frankfurt. Ihm geht nun ständig die Frage im Kopf herum, warum ausgerechnet er zurückblieb. Zumal er über das Erlebte auch nicht sprechen kann, denn niemand würde ihm ja glauben, auf welche Weise seine Kolleginnen und Kollegen verschwunden sind.
Wie kommuniziert man religiöse Erfahrungen, ohne dass sie banal ode absurd klingen? In der Literatur ist das schwierig. Doch als „Hintergrundrauschen“ sei Religiön ständig präsent, sagte Lewitscharoff. Viele Romane enthielten Anspielungen und Bezugnahmen auf christliche oder biblische Inhalte, wenn auch oft eher implizit als explizit. Auch Autoren und Autorinnen, die sich selbst nicht mehr als religiös begreifen, sind schließlich noch mit diesem Kanon aufgewachsen. Aber die Jüngeren, für die christliche Traditionen schon ferner sind?
Hier rief Sybille Lewitscharoff die Kirchen in die Pflicht. Sie kritisierte, dass die christliche Botschaft häufig banalisiert werde. Zum Beispiel sprächen die Kirchen viel zu zögerlich über Sünde. Aber „christliche Religion ohne Sündenbewusstsein ist kalter Kaffee.“ Sehr konkret sei hingegen die Hölle in Dantes „Göttlicher Komödie“ ausgestaltet: „Natürlich müssen wir den mittelalterlichen Sündenkanon hinterfragen, Ehebruch oder Homosexualität etwa sind keine Sünde“, so Lewitscharoff. „Aber vom wesentlichen Kern, dass der Mensch zur Sünde neigt, davon bin ich zutiefst überzeugt.“