Religion und freiheitliche Werte müssen Hand in Hand gehen, davon ist der islamische Religionswissenschaftler Mouhanad Khorchide überzeugt. In Frankfurt stellte er sein neues Buch „Gott glaubt an den Menschen“ vor.
„Mit dem Islam für einen neuen Humanismus“ – der Untertitel des neuen Buches von Mouhanad Khorchide klingt ein bisschen provokant. In Zeiten, wo der Islam vor allem in Zusammenhang mit den Gräueltaten der Terrororganisation ISIS in den Schlagzeilen ist, fällt es vielen schwer, darin besonders viel humanistisches Potenzial zu sehen. Aber gerade diesem Zerrbild will der Professor für islamische Religionswissenschaft, der in Münster Religionslehrerinnen und -lehrer ausbildet, etwas entgegensetzen.
„Warum hat Gott den Menschen geschaffen?“ fragt Khorchide in den vollbesetzten Saal im Frankfurter Dompfarramt. Das Publikum ist christlich und muslimisch gemischt, eingeladen haben verschiedene evangelische und katholische Gemeinden und Einrichtungen. Es sei wichtig, mehr liberale, vernunftorientierte muslimische Stimmen sichtbar zu machen und sich mit ihren Thesen auseinanderzusetzen, sagt Joachim Valentin, der Direktor des Hauses am Dom und Khorchides Gesprächspartner an diesem Abend.
Freiheit muss absolut gelten
„Gott geht es nicht darum, von uns Menschen verherrlicht zu werden“, betont Khorchide, „Gott hat uns mit Vernunft und Freiheit ausgestattet!“ Freiheit bedeute dabei nicht, tun und lassen zu können, was man will, sondern „man muss Freiheit, auch die Freiheit der anderen, im Grundsatz akzeptieren“, so Khorchide. „Freiheit bedeutet, sich für Gott, also für das Absolute, zu öffnen, und mit dieser Haltung zurück auf die Erde zu kommen.“
Diese Anbindung der Freiheit an Gott sei wichtig, und zwar nicht, um sie einzuschränken (in dem Sinn, dass Gott der Freiheit des Menschen Grenzen setzt), sondern im Gegenteil, um die Freiheit zu schützen. „Der Mensch kann nicht seine eigene Bezugsgröße sein“, sagt Khorchide. „Humanismus ist nichts, was der Mensch sich selbst schafft, sondern humanistische Werte gelten absolut. Sie sind Attribute Gottes.“ Man könnte das auch so übersetzen: Der Mensch hat nicht die Freiheit, die Freiheit abzuschaffen. Erst recht nicht die der anderen.
Humanismus wird oft mit Atheismus gleichgesetzt
Heutzutage wird Humanismus jedoch oft mit Atheismus und Religionsfeindlichkeit gleichgesetzt. Ein Freund, erzählt Khorchide, hätte geradezu entsetzt reagiert, als er hörte, dass er ein Buch über den Humanismus schreiben will. „Seine spontane Reaktion war: Aber Humanismus, das gibt es doch nur in Berlin!“, also in einer Stadt voller „Ungläubiger“.
Eine wichtige Ursache dieses Missverständnisses ist sicher, dass die christlichen Kirchen in Europa die Aufklärung lange bekämpft haben. „Aber wenn gesagt wird, die Aufklärung wurde den Kirchen abgerungen, dann stimmt das zwar machtpolitisch, aber nicht ideengeschichtlich“, betont Joachim Valentin. Die meisten deutschen Humanisten seien Christen gewesen und hätten sich selbst auch so verstanden. Heute komme es darauf an, den Sinn des Glaubens und der Religion inhaltlich zu begründen, „allerdings auf dem Niveau des wissenschaftlichen und rationalen Diskurses.“
Den Islam auch selbstkritisch betrachten
Genau das will Khorchide, und er warnt deshalb seine Glaubensgeschwister auch davor, den Islam einfach immer und grundsätzlich zu verteidigen. „Wir können nicht einfach behaupten, dass der ISIS mit dem Islam nichts zu tun hätte.“ Wenn man sich aus der Tradition immer nur das Gute herauspicke, sei das genauso unredlich wie das, was die so genannten „Islamkritiker“ tun, wenn sie sich nur das Schlechte herauspicken.
Musliminnen und Muslime müssten selbstkritisch sein und benennen, wo es in der islamischen Tradition Irrtümer gegeben hat, davon ist Khorchide überzeugt. Dann aber könnte religiöser Fanatismus gerade aus einer religiösen, ja frommen Grundhaltung heraus widerlegt werden: „Wahrheit ist ein Attribut Gottes. Wer sagt, er sei im Besitz der Wahrheit, sagt eigentlich, er habe Gott in seinem Besitz. Und das ist gotteslästerlich.“
valtental schrieb am 19. Oktober 2015
„Warum hat Gott den Menschen geschaffen?“ fragt Khorchide. Dieser Frage sollte erst mal ohne das einleitende „Warum“ nachgegangen werden.
„Aber wenn gesagt wird, die Aufklärung wurde den Kirchen abgerungen, dann stimmt das zwar machtpolitisch, aber nicht ideengeschichtlich.“ Wie kann die Ideenvertreterin Kirche – noch dazu als frühere Staatskirche – ihren eigenen Ideen machtpolitisch im Wege stehen? Die Aufspaltung im Zitat nennt man landläufig Differenzierungsargument.