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Von – 16. Oktober 2015

Siebzig Jahre danach: die Folgen von Krieg und Nationalsozialismus

Kriegskinder, Nachkriegskinder, Kriegsenkel – das sind die Begriffe, mit der eine enge Generationenfolge bezeichnet wird, in der die Erfahrungen von Nationalsozialismus, Krieg, Flucht und Vertreibung weitergegeben wurden, meist unbewusst.

Siebzig Jahre nach Kriegsende hatten das Institut für Alterspsychotherapie und das Frankfurter Psychoanalytische Institut in Kooperation mit dem Evangelischen Regionalverband unter dem Titel „Die Folgen von Krieg und Nationalsozialismus“ zu einer zweitägigen Gesprächsveranstaltung ins Dominikanerkloster eingeladen.

Die psychologische Forschung habe sich ausführlich mit der Weitergabe von Traumata über Generationen hinweg beschäftigt, erläuterten die Psychoanalytikerinnen Christiane Schrader und Ilka Quindeau. In der Psychotherapie, vor allem auch in der des Alters, sei es grundlegend, dass bei Diagnosen darauf geachtet wird, einen Bezug zur Zeitgeschichte herzustellen und die Bedeutung der Generationenbeziehungen zu berücksichtigen.

Die Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin Rose Ahlheim zeichnete die Komplexität von innerfamiliären Beziehungen am Beispiel der Lebenserinnerungen von Johanna Haarer und ihrem jüngsten Kind Gertrud nach, die sie kürzlich unter dem Titel „Die deutsche Mutter und ihr letztes Kind“ herausgegeben hat.

Haarer war Ärztin und wurde durch ihr in den 1930er Jahren publiziertes Standardwerk der Säuglingspflege „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ bekannt, mit dem sie der Nazipropaganda in die Hände spielte. Ihre Pflegeanweisungen zielten auf Unterwerfung und Gehorsam und legten früh die Wurzeln für Desorientierung und Bindungsunsicherheit, die die Grundlage für eine Orientierung auf den „Führer“ hin bilden konnten.

Deutlich wurde im Rahmen von Lesung und Gespräch, wie subtil Pflege und Unterwerfung in der Erziehung ineinandergreifen und mit der Ideologie des Nationalsozialismus verknüpft wurden. Bis in die 1980er Jahre hinein wurde Haarers Buch, wenn auch mit geringfügigen Überarbeitungen, immer wieder neu aufgelegt.

Den Hauptteil der Veranstaltung bildeten Arbeitsphasen in intergenerationellen Gesprächsgruppen von etwa je zehn Teilnehmenden, die sich dem Thema im persönlichen Gespräch näherten. Vor dem Hintergrund einer weitreichenden Sprachlosigkeit in vielen Familien wurde so Raum geschaffen für eine Annäherung der Generationen, für einen Erfahrungs- und Gedankenaustausch. Vielfach wurde anschließend der Wunsch geäußert, diese intensive Auseinandersetzung fortzusetzen – auch von den Kriegsurenkelinnen.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 16. Oktober 2015 in der Rubrik Lebenslagen, erschienen in der Ausgabe , .

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Dr. Silke Kirch studierte Germanistik, Kunstpädagogik und Psychologie in Frankfurt am Main und ist freie Autorin und Redakteurin.