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Von – 24. Dezember 2015

Keine Homestory

Gemessen am knappen Wortlaut der Weihnachtsgeschichte nach Lukas betreiben Krippenspiele am Heiligabend oft eine weitschweifige Ausgestaltung. Von einer Herbergssuche steht da zum Beispiel nichts, geschweige denn von bösen Wirten. Und auch der Stall kommt nicht vor, sondern es ist lediglich von einer Futterkrippe die Rede.

Josefs aus aller Welt: Der Mann von Maria ist ein fester Bestandteil der christlichen Volkskunst. Diese vier Figuren stammen aus Korea, Peru, Tansania und den Philippinen (von links nach rechts) und gehören zur Sammlung von Elke Gutberlet. Die Rödelheimerin stellt in der Advents- und Weihnachtszeit Krippen aus aller Welt aus, auch diese vier Josefs werden mit ihren „Heiligen Familien“ dabei sein. Die Ausstellung in der Cyriakuskirche, Auf der Insel, läuft bis 17. Januar und ist vor und nach Gottesdiensten sowie sonn- und feiertags von 15 bis 17 Uhr geöffnet. Foto: Ilona Surrey

Josefs aus aller Welt: Der Mann von Maria ist ein fester Bestandteil der christlichen Volkskunst. Diese vier Figuren stammen aus Korea, Peru, Tansania und den Philippinen (von links nach rechts) und gehören zur Sammlung von Elke Gutberlet. Die Rödelheimerin stellt in der Advents- und Weihnachtszeit Krippen aus aller Welt aus, auch diese vier Josefs werden mit ihren „Heiligen Familien“ dabei sein. Die Ausstellung in der Cyriakuskirche, Auf der Insel, läuft bis 17. Januar und ist vor und nach Gottesdiensten sowie sonn- und feiertags von 15 bis 17 Uhr geöffnet. Foto: Ilona Surrey

Trotzdem liegen die fantasiereichen Krippenspiele nicht „falsch”. Denn auch Lukas erzählt nicht neutral, sondern packt – gut fünfzig Jahre nach Jesu Tod und Auferstehung – seine eigene Überzeugung in die Geschichte hinein: dass Jesus der ersehnte Messias ist. Sein Evangelium ist also keine „Homestory”, sondern will eine „gute Botschaft“ verbreiten, hinter der historische Fakten schon auch mal verblassen können.

So ist zum Beispiel unklar, ob Jesus wirklich in Bethlehem geboren wurde, denn beim Propheten Micha steht, dass Bethlehem der Herkunftsort des Messias ist. Vielleicht hat Lukas das Geschehen deshalb dorthin verlegt.

Auch der Hinweis, dass das Jesuskind in einer Krippe liegt, ist eine Anspielung auf die hebräische Bibel. Vorsichtshalber streut Lukas diese Information gleich dreimal ein, damit sie ja niemand überliest. Wer die hebräische Bibel kennt, denkt sofort an den Anfang des Buches Jesaja, wo steht: Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn. Es ist also klar, was Lukas sagen will: Während alle noch denken, der römische Kaiser Augustus würde den Lauf der Welt bestimmen, ist der wahre Weltenherrscher schon geboren. Beim späteren Weitererzählen der Geschichte wird dann schnell auch ein Stall um die Krippe herum gebaut, in dem bald tatsächlich besagter Ochse und Esel stehen, die wiederum eigene Denkräume erschließen: der Esel weist auf Demut und Aufopferung Jesu, der Ochse als typisches Opfertier auf die Kreuzigungsgeschichte. Im Esel kann man auch die Juden und im Ochsen die Heiden verkörpert sehen, die beide nun wieder zusammengehören.

Eine dritte Interpretation darf nicht unerwähnt bleiben: Demnach wissen sogar Ochsen und Esel besser, wer „der Herr” ist, als „die Juden“. Lukas geht es dabei vor allem um Kritik an der frommen Hierarchie, die bei ihm durch Abwesenheit glänzt: Pharisäer und Schriftgelehrte leiden von Anfang an unter Ignoranz gegenüber dem Offensichtlichen. Später wurde daraus im Christentum allerdings platte antijüdische Propaganda.

Lukas geht es aber vor allem um soziale Hierarchien. In seiner Geschichte kommt Jesus zu den kleinen Leuten. Dafür stehen die nicht gerade angesehenen Hirten, die durch ihre Wanderschaft mit den Herden auch eine gute Gewähr fürs Weitererzählen des Evangeliums sind. Die Leserinnen und Leser sollen sich das zum Vorbild nehmen.

Wahrscheinlich würde Lukas sich freuen über das, was aus seiner kleinen literarischen Erzählung geworden ist: ein Mikrokosmos, in dem sich die anstehende grundlegende Verwandlung der Welt spiegelt.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 24. Dezember 2015 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe , .

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Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.