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Von – 23. Dezember 2015

Oh, du peinliche…

Kein anderer Tag des Jahres bietet so viele Fallstricke wie Heiligabend. Aber keine Panik: Später ergibt das gute Geschichten, an die man sich gemeinsam erinnern kann…

Weihnachten in den sechziger Jahren: In vielen Familien gibt es feste Traditionen und Rituale, die an Heiligabend befolgt werden. Doch genauso regelmäßig geht dabei was schief – und das ist auch gut so! Foto: Harald Häusler

Weihnachten in den sechziger Jahren: In vielen Familien gibt es feste Traditionen und Rituale, die an Heiligabend befolgt werden. Doch genauso regelmäßig geht dabei was schief – und das ist auch gut so! Foto: Harald Häusler

Weihnachten ist nicht lustig. Und das ist genau der Grund, warum es genau das doch ist: lustig.

Im Nachhinein jedenfalls. Wenn die Pannen Jahre zurückliegen, anderen passieren oder im Fernsehen. „Früher war mehr Lametta!“ Legendär ist der Satz von Loriots Opa Hoppenstedt, bestimmt der am zweithäufigsten zitierte am Heiligabend, gleich nach: „Die Zweige sind jedenfalls viel dichter als letztes Jahr.“

Weihnachten ist ein Hindernis-Parcours, eine Herausforderung, die Ritualen gehorcht, die kaum erklärt werden können. Oft wurzeln sie in der Kindheit eines oder mehrerer Beteiligter und bleiben gerade dadurch im kollektiven Gedächtnis haften, dass etwas schief geht. Dass das Drehbuch aussetzt. Was es immer an irgendeiner Stelle tut, Gott sei Dank. Sind doch „Wisst-ihr-noch“-Gespräche das eigentlich Vereinende, wenn eine Handvoll bis ein Dutzend Menschen, die sich den Rest des Jahres eher sporadisch sehen, um eine festlich gedeckte Tafel sitzen.

Wisst ihr noch, als Papa im Eifer des Gefechts nicht den Weihnachtsbaumstamm, sondern den Ständer zerhackt hat, als das Gewächs sich als zu groß für die gute Stube erwies? Wisst ihr noch, als die Katze am Weihnachtsmorgen den Karton mit den Glaskugeln vom Tisch gefegt hat? Wisst ihr noch, als sich die knusprige Gans beim Zerteilen als fast fleischloses Gerippe erwies und Würstchen aus dem Glas als Ersatz herhalten mussten? Meine Freundin Christina hat bis heute nicht verwunden, was an einem stürmischen Dezembertag vor sechs Jahren geschah: Ihr Mann brachte ihr nach einer Dienstreise endlich die wunderschöne Weihnachtspyramide aus Dresden mit, die sie schon immer haben wollte („Die einzige, auf der Josef keine Prinz-Eisenherz-Frisur hat“), und dann fing das filigrane Gebilde auf der Fensterbank Feuer, weil der Wind durch die Fugen drang.

Die Weihnachtszeit ist den Menschen hierzulande heilig, dazu müssen sie nicht kirchlich gebunden, sondern höchstens im weitesten Sinne in einem christlichen Umfeld großgeworden sein. Glasklar sind oftmals die Vorstellungen davon, wie das Fest abzulaufen hat. Nämlich exakt nach Plan. Der wiederum wird von jeder Familie individuell entworfen. Was gibt es an Heiligabend zu essen? „Würstchen mit Kartoffelsalat. Was sonst?“ „Antipasti aus der Kleinmarkthalle, was sonst?“ „Fleisch-Fondue, was sonst?“ Experimente? Vielleicht wieder zu Silvester.

Das Kulinarische ist also schnell geklärt. Dann wird es schon schwieriger. Wer soll wann wie lange kommen? Und mit welchem Geschenk bedacht werden? Doch mit der hohen, oft erstaunlich humorfreien Erwartungshaltung steigt die Gefahr, dass irgendetwas schiefläuft. Das lang vorbereitete Essen brennt an. Auf einmal fehlen die Kerzen für den Tannenbaum und die Geschäfte haben leider schon zu. Irgend jemand trödelt immer, sodass es wieder nicht für einen Sitzplatz in der Kirche reicht. Und schließlich hat Tante Elfriede als Geschenk für den Schwager zum fünften Mal in Folge einen Frottee-Schlafanzug gekauft.

Weihnachten ist eine Schule fürs (Familien-)Leben. Was sagt man zu Opa, wenn er sich aufregt? Wie begrüßt man den neuen Freund der Schwester? Was redet man auf dem ewig langen Familienspaziergang? Zumal dieses Jahr nicht einmal mehr „Wetten dass?“ als unverfängliches Gesprächsthema herhalten kann.

Also doch wieder: über den Baum reden. Das klappt meistens unfallfrei, und die Generationen sind sich einig: Zwar ist er nicht perfekt, aber wenigstens nicht so ein kahles Geäst wie letztes Jahr. Und optimal geschmückt – nur die Kugeln, die gehören eigentlich näher an den Stamm… Wenn neue Menschen in den Familienkreis eingeführt werden, lauern auch neue Fettnäpfchen („Vegetarier? Wir hätten da noch Geflügelwürstchen …“). Es gibt aber auch einen guten Satz: „Du wirst schnell merken: Diese Familie ist ein bisschen speziell – aber sehr nett!“ Stimmt naturgemäß immer.

Heikle Gespräche sollte man dagegen besser am ersten Weihnachtsfeiertag führen, wenn alle pappsatt und entspannt sind. Der lange Familienspaziergang ist der beste Moment, um anzusprechen, was noch angesprochen werden muss. Eine bisher verschwiegene Trennung. Eine bisher verschwiegene Schwangerschaft. Ein anstehender Umzug. Ein verlorener Job. Ein neuer Job (in Nairobi).

Um Aufregung abebben zu lassen, bietet sich ein harmloser Kommentar zur Predigt vom Vorabend an: „Endlich wird man mal wieder heruntergeholt von diesem ganzen Konsumwahn!“ Andererseits: Kaum etwas sorgt für so schöne Pannen-Anekdoten wie besagter Konsumwahn.

Nach Weihnachten quellen die Innenstädte bekanntlich über von Menschen, die sich von Popcornmaschine und historischer Gartenharke wieder trennen, noch bevor der Baum zu nadeln beginnt. Es gehört zu den großen Irrtümern der Menschheit, dass Geschenke kreativ sein müssen. Geschenke haben eine einzige Aufgabe: den Beschenkten glücklich zu machen. Und nicht, den Einfallsreichtum des Schenkers in den Mittelpunkt zu rücken.

Das Duell Frottee-Schlafanzug/Gutschein hat jedenfalls meist einen klaren Sieger. Im Gegensatz zur Harke passt ein postkartengroßer Gutschein in jede Handtasche und ist das ganze nächste Jahr gültig. Wer kreativ sein will, kann ja ein selbstverfasstes Gedicht dazulegen. Das sichert dann auch gleich die erste Anekdote für Weihnachten 2016.

Sämtliche Termine an Heiligabend in Frankfurt unter www.frankfurt-evangelisch.de.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 23. Dezember 2015 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe , .

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Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de.