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Von – 15. Februar 2016

Der Samariter als Vorbild

„Gutmensch” ist das Unwort des Jahres 2015. Das Wort soll engagierte Menschen als naiv und gutgläubig diffamieren. Dabei ist die Gesellschaft auf Gutmenschen dringend angewiesen.

Die Punkrockband „Die Toten Hosen“ will den Begriff „Gutmenschen“ wieder ins Positive wenden. Hier Frontmann Campino bei der Verleihung einer Auszeichnung der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf für das Engagement gegen der Band Rechtsextremismus und Rassismus. Foto: Hans-Jürgen Bauer/epd-Bild

Die Punkrockband „Die Toten Hosen“ will den Begriff „Gutmenschen“ wieder ins Positive wenden. Hier Frontmann Campino bei der Verleihung einer Auszeichnung der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf für das Engagement gegen der Band Rechtsextremismus und Rassismus. Foto: Hans-Jürgen Bauer/epd-Bild

Wie die Jury in Darmstadt mitteilte, werden besonders Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren oder sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte stellen, als „Gutmenschen” beschimpft. Im rechtspopulistischen Lager wird ihnen vorgeworfen, sie würden die angebliche Bedrohung durch „Ausländer”, „Kriminelle” oder „den Islam” ignorieren. Die Jury rügt aber auch den Wortgebrauch durch Journalisten in Leitmedien. Toleranz und Hilfsbereitschaft würden pauschal als naiv, dumm und weltfremd diffamiert. Die Verwendung des Ausdrucks „Gutmenschentum“ verhindere „einen demokratischen Austausch von Sachargumenten”, so die Jury: Der „Gutmensch” gilt von vornherein zumindest als verkehrt, wenn nicht gar als bedrohlich. Mit seiner Motivation und seinen Zielen muss man sich dann gar nicht mehr auseinandersetzen.

Es gibt aber auch schon einen Gegentrend, nämlich den, das Wort „Gutmensch” umzudeuten als Symbol für eine gute und gerechte Sache, ähnlich wie auch ehemals abwertende Begriffe wie „Suffragette“ oder „Schwuler“ von den so Titulierten selbstbewusst angeeignet wurden. So hat sich die Punkrock-Band „Die Toten Hosen” bereits die Markenrechte am Wort „Gutmensch” gesichert; sie wollen das Wort wieder aktiv positiv besetzen.

Eine Aufwertung verdient hätten die Gutmenschen sicherlich. Wenn in Politik und Gesellschaft Pragmatiker und Bedenkenträger das Sagen haben, wenn dringende Entscheidungen erst in alle Richtungen diskutiert werden müssen, wenn es obendrein noch an den erforderlichen Strukturen fehlt, bleiben Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe leicht auf der Strecke. Zum Beispiel waren beim starken Andrang Geflüchteter vergangenes Jahr die offiziellen Stellen oft überfordert. Spontanes ehrenamtliches, bürgerschaftliches Engagement im Sinne christlicher Nächstenliebe hat in dieser Situation viel gerettet: Es lag auf der Hand, dass den notleidenden Menschen zunächst einmal geholfen werden musste unabhängig von allen Fragen und Problemen, die sich dadurch natürlich auch ergeben haben.

Ein solches „Gutmenschentum“ geht fast zwangsläufig mit einer gewissen Portion Gutgläubigkeit einher. Aber auch der barmherzige Samariter aus dem Lukasevangelium – der Gutmensch schlechthin – hat nicht erst lange darüber nachgedacht, ob der Verletzte am Wegesrand vielleicht eine Falle sein könnte, was ihn der Mann an Geld kosten und welche Verzögerung das Helfen für seine Geschäftsreise bedeuten würde. Er hat auch nicht das fehlende Netz von Unfallärzten und die unzulänglichen Transportmöglichkeiten beklagt, sondern einfach und gutmenschlich zugepackt. Und diesen „Samariter“ hat Jesus als Vorbild hingestellt, weil er zur richtigen Zeit das Richtige und Angemessene getan hat.

Menschen, die im kindlich-reinen Bewusstsein einer moralischen oder ethischen Verpflichtung die Initiative ergreifen, machen dabei gewiss auch Fehler und haben nicht alle Folgen ihres Handelns im Blick, aber sie zeigen gerade dadurch in erfrischender Weise, dass die Gesellschaft noch nicht ganz von Gleichgültigkeit, Bürokratie und Strategiedenken ausgehöhlt ist. Und sie bringen oft genug Positionen ins Spiel, die in der gesellschaftlichen Diskussion unterzugehen drohen.

Wie weit wären wir denn wohl, wenn es keine Gutmenschen, keine Suffragetten, Nachrüstungsgegner oder Umweltaktivisten gegeben hätte?

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 15. Februar 2016 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Wilfried Steller ist Theologischer Redakteur von "Evangelisches Frankfurt" und Pfarrer in Frankfurt-Fechenheim.