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Von – 23. September 2016

Dogmatiker, Missionarinnen, Konvertiten – vom Streit übers richtige Essen

Ob vegan, low carb oder paläo: Das „richtige“ Essen wird zunehmend als Symbol für das „richtige“ Leben verstanden, der Streit darüber erinnert manchmal an Glaubenskriege. Schon Adam und Eva sind schließlich aus dem Garten Eden geflogen, weil sie etwas Falsches gegessen hatten. 

Kocht mit anderen Männern gemeinsam: Klaus Schöppe von der Mariengemeinde in Seckbach. Foto: Rolf Oeser

Kocht mit anderen Männern gemeinsam: Klaus Schöppe von der Mariengemeinde in Seckbach. Foto: Rolf Oeser

Michael Spahn ist ein Konvertit, wenn man so will. Der Bio-Metzger aus Bornheim ist seit vier Jahren Veganer. Damals hatte er seine Erleuchtung: An Hauswände und auf Bürgersteige in Frankfurt war mit Kreide die Internetadresse www.earthlings.de notiert. Guerilla-Marketing radikaler Tierschützer. Michael Spahn, Jahrgang 1961, schaute am Computer nach, wohin der Link führte. Und konnte das Video, das zeigte, wie brutal Tiere geschlachtet werden, nicht vergessen. Er, der mit Fleisch sein Geld verdiente, seit 40 Jahren Metzger war, der sein Schnitzel liebte. Und immer mehr Gesundheitsprobleme bekam.

„Herz, Cholesterin, Übergewicht – mein Arzt sagte mir, es ist fünf vor zwölf.“ Es kam also eines zum anderen. Heute ist Spahn der wohl einzige vegane Metzger in Deutschland. Vegane Schnitzel, vegane Blutwurst, veganes Mett, „Hackepetra“ genannt, und veganen Leberkäse führt seine Bio-Metzgerei. Das ist genauso schizophren wie es klingt. Denn auch Fleisch von Tieren gibt es an Spahns Theke immer noch zu kaufen. „Nur vom Verkauf der vegetarischen Alternativen kann ich nicht leben“, sagt er.

Lebt selber vegan, produziert und verkauft aber weiterhin Fleisch: Biometzger Michael Spahn. Foto: Rolf Oeser

Lebt selber vegan, produziert und verkauft aber weiterhin Fleisch: Biometzger Michael Spahn. Foto: Rolf Oeser

Also gibt es beides. Spahn ist kein Dogmatiker, aber er hat ein Sendungsbewusstsein. „Wir machen mit unserer Tierhaltung den Planeten kaputt“, sagt er. Seit er auf Fleisch, Milch und Eier verzichtet, hat er merklich abgenommen. Sein Blutdruck ist nicht mehr so hoch. Vegane Ernährung, das einzig Richtige. So sieht es Spahn.

Womit er nicht meint, dass es nicht auch jenseits davon besser und schlechter gibt. Bio-Fleisch ist besser als Fleisch aus konventioneller Tierhaltung, und vegetarische Ernährung immerhin ein Anfang. „Ich biete Kundinnen und Kunden immer eine vegane Kostprobe an“, sagt Spahn. „Mein Anliegen ist auch die Aufklärung. Bei veganen Produkten tausche ich nur die Rohstoffe aus: Mehl für Weißwurst, schwarze Linsen für Blutwurst. Auch ein Stück Fleisch schmeckt pur und ungesalzen eher nach nichts. Das angenehme Mundgefühl entsteht erst durch die Würzung und eine bissfeste Konsistenz.“

Wird Ernährung immer mehr zur Religion für die Menschen? Wer in den Augen strenger Verfechter einer Variante vom rechten Glauben abweicht, hat wenig zu lachen. Das hat auch Michael Spahn erfahren. „Veganer haben mich angefeindet, weil ich noch Fleisch verkaufe.“ Und die Fleischer-Innung pochte darauf, dass er veganen Hackepeter bitte anders nennen möge. So kam es zur Wortkreation „Hackepetra“. Humor und Religion sind eben keine Gegensätze. „So wie aus Kettenrauchern oft militante Nichtraucher werden, lebt so mancher meiner Kritiker erst seit Kurzem vegan und sieht nicht, dass ich mich auf den Weg gemacht habe“, sagt Spahn. „Die Metzgerei subventioniert das vegane Geschäft. Sobald sich dieses Verhältnis umkehrt, würde ich sie schließen.“

Sieht es nicht so eng, dass ihr Freund Fleisch isst: Victoria Ekstrand vom Supermarkt „Veganz“. Foto: Rolf Oeser

Sieht es nicht so eng, dass ihr Freund Fleisch isst: Victoria Ekstrand vom Supermarkt „Veganz“. Foto: Rolf Oeser

Macht Essen selig? Vegetarisch, vegan, glutenfrei, high-carb, low-carb und vor allem alles bio: Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist. Die unbedingte Bereitschaft, ernährungstechnisch alles richtig zu machen, kombiniert mit der Verwirrung darüber, was denn das Richtige sei, bildet den idealen Nährboden für allerlei Lehren, die sich vor allem durch eines auszeichnen: das Verbot. Ein Verlust von tradierten Ordnungssystemen wie Religion und Familie lässt viele Menschen auf die Suche nach Identität und nach Sinn gehen. Für die christlichen Missionare des Mittelalters waren die Heiden die schlechteren Menschen. Die mussten bekehrt werden. Das erleben Leute, die heute noch Fleisch essen, teilweise auch. Beim Ernährungsstil hört der Spaß auf.

Die Fans von Low Carb, Slow Carb oder No Carb verteufeln Nudeln, Reis und Brot. Wer sich paläo ernährt (es leitet sich vom Paläolithikum, der Altsteinzeit, her), streicht Milch und Getreide von der Speisekarte, weil die Menschheit vor hunderttausend Jahren nun mal jagte und sammelte und nicht molk und buk. Das „richtige“ Essen wird dabei zunehmend als Symbol für das „richtige“ Leben verstanden. Schon Adam und Eva sind schließlich aus dem Garten Eden geflogen, weil sie etwas Falsches gegessen hatten. Die modernen Ernährungsmythen variieren diese Geschichte immer wieder. Alles war gut – bevor wir angefangen haben, Tiere massenhaft auszubeuten, Getreide massenhaft anzubauen, Zusatzstoffe zu verwenden, Zucker zu essen.

Welche Richtung auch immer, gutes Essen wird den Menschen immer wichtiger. Das erlebt Victoria Ekstrand jeden Tag. Die 30-Jährige berät in der Frankfurter Filiale der veganen Supermarktkette „Veganz“ Menschen, die ganz anders kochen möchten als ihre Eltern und ihre Großeltern. „Viele leben gar nicht mal vegan, sie sind einfach auf der Suche nach gesunden Lebensmitteln“, hat sie beobachtet. „Sie fragen mich nach Inhaltsstoffen, weil sie alles ganz genau wissen wollen. Ist da Zucker drin? Gluten? Laktose? Das Interesse ist viel mehr da als früher.“ Sie selbst lebt erst seit einigen Jahren vegan, ihr Partner und einige Freunde essen Fleisch. „Für viele Veganer ist eine Beziehung zu einem Fleischesser ja undenkbar, aber ich sehe das nicht so eng“, sagt sie. Am Bornheimer Uhrtürmchen stehen gleichsam die Kirchen zweier Konfessionen unmittelbar nebeneinander: Das „Veganz“ und ein Bratwurststand. Eine friedliche Koexistenz.

„Die Leute kochen heutzutage wieder selbst, und sie wollen gute Zutaten. Das ist wunderbar“, sagt auch Klaus Schöppe, während er beim Gemeindefest am Herd steht und in einem Topf Tomatensoße mit Oliven rührt. „Zusammen essen, das ist Gemeinschaft.“ Schöppe ist Mitglied des Kochclubs „Gartensaalköche“ der Mariengemeinde in Seckbach. Seit sechs Jahren treffen sich dort Männer unterschiedlichen Alters, um einmal im Monat ein dreigängiges Menü zusammen zu kochen. Und zu essen.

Auch das ist eine Glaubensrichtung: das „gute“ Essen aus „guten“ Zutaten, als Gegensatz zu dem aus der Tiefkühltruhe, aus der eingeschweißten Plastikhülle, aus dem Fastfood-Lokal. Doch Klaus Schöppe ist kein Missionar, aus seinen Worten klingt keine Arroganz. Geht es schließlich auch darum, hochwertiges Essen für viele her23zustellen, ohne das Gemeindebudget zu sprengen. Geht nicht, nicht ohne Gulaschkanone? Doch.

Ob Gemeindefest, Himmelfahrts-Gottesdienst im Freien oder Weihnachtsmarkt: Das alles sind fixe Termine für die ambitionierten Hobbyköche, die dann bis zu 150 Portionen zubereiten. Ganz ohne Gulaschkanone. „Wir versuchen, immer etwas Neues zu entwickeln. Gulasch und Chili Con Carne sind zwar Klassiker bei Festen, aber auch langsam langweilig.“ Wie man dreieckige, gefüllte Nudeltaschen nennt, weiß inzwischen die ganze Gemeinde: Triangoli. Der neue Klassiker, gefüllt mit Schafskäse oder Hackfleisch. Je nach Essens-Konfession. Satt und glücklich sind am Ende alle.

Der Trend zu Bio wächst, aber nach oben ist noch Platz

In Deutschland leben nach Angaben des Instituts Statista rund 8 bis 9 Prozent der Bevölkerung vegetarisch, ein weiteres knappes Prozent vegan. Zum Vergleich: In Indien essen rund 40 Prozent der Bevölkerung vegetarisch, in China hingegen nur 4 Prozent. Gleichzeitig ist hierzulande kaum ein Lebensmittel so beliebt wie Fleisch: 60 Kilo im Jahr essen Deutsche im Durchschnitt pro Kopf; bei 85 Prozent der Bevölkerung kommen Fleisch und Wurst fast täglich auf den Tisch. Aber das soll dann zunehmend Bio sein: 2015 lag der Umsatz biologisch hergestellter Lebensmittel bei 8,62 Milliarden Euro, das war eine Steigerung um 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Es ist da allerdings noch Platz nach oben: Pro Kopf gaben Menschen in Deutschland im Jahr 2014 gerade mal 97 Euro für ökologisch produzierte Lebensmittel aus.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 23. September 2016 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe , .

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Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Brigitte Babbe schrieb am 25. September 2016

    Ich habe diesen Artikel deshalb so gern gelesen, weil er an keiner Stelle einseitig ist. Es macht Spaß so ein komplexes Thema informativ und unterhaltsam lesen zu können.