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Von – 2. November 2016

Medizin und Ethik in der Zukunft: Lernen vom Raumschiff Enterprise

„Wir können unseren Kollegen nicht der Medizin des 20. Jahrhunderts überlassen“ – darüber ist sich die Besatzung auf dem „Raumschiff Enterprise“ schnell einig, als eines ihrer Mitglieder verletzt in eine Klinik auf der Erde gebracht wird. Grund genug für eine Fortbildung im Ginnheimer Markuskrankenhaus.

Eher ein Außerirdischer auf der Kommandobrücke als eine Frau, aber ansonsten eine Serie mit Visionen: Mister Spock vom "Raumschiff Enterprise". Foto: Silke Kirch

Eher ein Außerirdischer auf der Kommandobrücke als eine Frau, aber ansonsten eine Serie mit Visionen: Mister Spock vom „Raumschiff Enterprise“. Foto: Silke Kirch

Was die 1966 im US-amerikanischen Fernsehen gestartete Kultserie Star Trek (auf Deutsch: Raumschiff Enterprise) mit Ethik in der Medizin zu tun hat, ermittelten Vertreter verschiedener ärztlicher Disziplinen bei einer Fachtagung im Agaplesion Markus-Krankenhaus. Zentral für die Serie, so der Leiter des dortigen Zentrums für Ethik der Medizin, Pfarrer Kurt W. Schmidt, sei der unerschütterliche Glaube, dass menschliche Vernunft und technischer Fortschritt zu einem allumfassenden Weltfrieden führen werden.

Dabei werden auf der Enterprise zwei ethische Grundideen gegeneinander ausbalanciert, wie der Philosoph Johannes Arch vom Centrum für Bioethik in Münster analysierte: Auf der einen Seite das Credo von Captain Kirk „Das Wohl des Einzelnen wiegt schwerer als das Wohl aller“. Und auf der anderen Seite die Maxime seines Ersten Offiziers, des Vulkaniers Mr. Spock (der sich jederzeit bereitwillig dem Gelingen der Mission opfert) „Das Wohl von Vielen wiegt schwerer als das Wohl von Wenigen oder eines Einzelnen.“

Auch im medizinischen Alltag von heute würden beide Grundsätze gleichzeitig Anwendung finden. Einerseits sieht das Grundgesetz vor, dass Leben nicht gegen Leben abgewogen werden darf. Und trotzdem spielen überindividuelle Prinzipien im medizinischen Alltag durchaus eine Rolle, wie etwa das der sogenannten „Nutzenaggregation“ wenn es um die Vergabe von Transplantationsorganen oder anderer Ressourcen geht, die die Überlebenschancen Einzelner, aber nicht aller sicherstellen oder verbessern können.

Balance statt Optimum: Dieses Prinzip wird auch in der Episode „The Enemy Within“ der Fernsehserie behandelt. Darin wird Captain Kirk aufgrund eines Fehlers im Transportsystem des Raumschiffes dupliziert. Sein Doppelgänger ist ein tyrannischer Bösewicht, während der Captain selbst hingegen immer mehr an Willenskraft verliert. Letztlich wird hier die Geschichte einer Persönlichkeitsspaltung und ihrer Überwindung durch quasi therapeutische Maßnahmen erzählt: Kirk muss seine negativen Seiten akzeptieren, um seiner Aufgabe gerecht werden zu können. Er holt also seinen sterbenden Doppelgänger ins Leben zurück, „Ich kann nicht leben ohne ihn, obwohl ich ihn fürchte.“ Akzeptanz, Zusammenführung und Ausbalancierung aggressiver Impulse und friedfertiger Strebungen ist sowohl ein ethisches Prinzip als auch zentrales Anliegen von psychiatrischen Therapien.

Grundlage für Entscheidungen in der Medizin ist zudem eine solide Datenlage. Auf die Frage, wie ihm die Arbeit in der neuen Krankenstation gefällt, arbeitet der Raumschiff -Arzt Doktor McCoy: „Es ist, als würde man in einem Rechenzentrum arbeiten.“ Von den „Dämonen“ der intensivmedizinischen Versorgung sprach der Krankenpflege-Experte Dirk Hueske-Kraus. Vor allem die Geräusche der überwachenden technischen Geräte sind für Mitarbeiter wie Patientinnen in vielfacher Hinsicht eine Belastung und sogar ein ernsthaftes Risiko. Hueske-Kraus stellte als Alternative ein neu eingerichtetes intensivmedizinisches Krankenzimmer an der Berliner Charité vor: Die optimal genutzte Technik bleibt weitgehend unsichtbar und unhörbar. Das Zimmer ähnelt der Krankenstation des Raumschiffs rein optisch verblüffend.

Zur soliden Datenlage gehört auch dies: Weibliche Körper reagieren anders auf den Aufenthalt im Weltall als männliche. Nach der Pilotsendung von „Raumschiff Enterprise“ hatte der amerikanische Sender NBC noch entschieden, eine Frau als Erster Offizier sei ja wohl noch unwahrscheinlicher als ein Außerirdischer, und ersetzte die eigentlich vorgesehene Frau auf der Kommandobrücke durch den Außerirdischen Spock. Heute allerdings ist weibliches Leben im Weltraum längst Gegenstand der Forschung. Die Mathematikerin Carmen Köhler, möglicherweise bald Deutschlands erste Frau im Weltraum, beschrieb ihre derzeitige Mission als Analog-Astronautin: Sie erforscht die Bedingungen zukünftiger Weltraummissionen – etwa zum Mars – von der Erde aus.

Die Vorhersage möglicher Szenarien auf der Grundlage von Forschungswissen ist der Fingerzeig, der in die Zukunft Menschheit führt: „Vertrauen haben wir in Gott, alle anderen müssen Daten liefern“ soll der amerikanischen Ingenieur William E. Deming dabei gesagt haben.

Ebenfalls zum Thema: Interview mit Pfarrer Kurt W. Schmidt

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 2. November 2016 in der Rubrik Ethik, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Silke Kirch studierte Germanistik, Kunstpädagogik und Psychologie in Frankfurt am Main und ist freie Autorin und Redakteurin.