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Frauen und Religion: Feministisches Engagement

Schränken Religionen Frauen ein? Oder helfen sie beim Kampf für mehr Freiheit? Teil 4 des Gespräches zwischen Antje Schrupp und Khola Maryam Hübsch (komplettes Interview).

Zwei Frankfurterinnen, die aus religiöser Perspektive für die Freiheit der Frauen eintreten: Khola Maryam Hübsch (36, links) ist Germanistin und Publizistin, Antje Schrupp (52) ist Politikwissenschaftlerin und Redakteurin von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Ilona Surrey

Zwei Frankfurterinnen, die aus religiöser Perspektive für die Freiheit der Frauen eintreten: Khola Maryam Hübsch (36, links) ist Germanistin und Publizistin, Antje Schrupp (52) ist Politikwissenschaftlerin und Redakteurin von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Ilona Surrey

AS: Als religiöse Frau komme ich mir manchmal so vor, als müsste ich an zwei Fronten kämpfen. Einerseits muss ich mich gegenüber einer säkularen Welt dafür rechtfertigen, dass ich überhaupt noch religiös bin, und dann auch noch in einer so patriarchalen Religion wie dem Christentum. Andererseits muss ich mich in der Kirche dafür rechtfertigen, feministisch zu sein. Geht Ihnen das auch so?

KH: Ja, stimmt. Wobei ich finde, gegenüber der säkularen Kritik am Patriarchalismus in den Religionen kann man schon ein bisschen auf den historischen Kontext verweisen. Wenn man zum Beispiel anschaut, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse waren, als der Islam entstanden ist, dann war der Koran geradezu sozialrevolutionär mit seiner Forderung nach Gleichstellung der Frau. Und bei der Beurteilung von aktuellen Entwicklungen kann man schon erwarten, dass unterschieden wird zwischen kulturellen und interessenorientierten Vereinnahmungen von Religion und dem, was tatsächlich aus den Quellen abzuleiten ist.

AS: Ja, ich finde auch, es gibt so eine Art platte Religionskritik, die oft sehr uninformiert ist. Und leider wird die „Frauenfrage“ auch oft mal instrumentalisiert, um eine bestimmte säkulare Weltanschauung zu legitimieren. Ich verweise dann gerne darauf, dass ja auch viele Humanisten ziemlich frauenfeindlich waren, man denke nur an Rousseau zum Beispiel. Es ist ja nicht so, dass das Patriarchat nur in den Religionen geherrscht hätte, sondern es hat unsere gesamte Kultur geprägt, die religiöse ebenso wie die säkulare.

KH: Und letzten Endes argumentieren ja auch Frauen auf der ganzen Welt, die sich für ihre Freiheit einsetzen, ähnlich. Die Musliminnen zum Beispiel schauen sich den Koran an, was steht da genau im Arabischen, was gibt es für Überlieferungen, welche davon kann man als glaubwürdig einordnen und welche sind wahrscheinlich hinzugekommen und von Männern erfunden, oder von anderen Personen, die interessenorientiert waren?

AS: In letzter Zeit gibt es in Deutschland allerdings auch Kritik von Musliminnen, die von Frauen wie Ihnen, die stark in einer Gemeinde beheimatet sind, einfordern, dass Sie sich dort stärker für Feminismus einsetzen. Sind religiöse Frauen in den Gemeinden vielleicht oft zu gehorsam sind, zu loyal, zu angepasst? Mich erinnert das an die Diskussionen in der feministischen Theologie in den 1980er Jahren, als es auch einen Streit unter christlichen Feministinnen darüber gab, ob man in der Kirche bleiben kann oder besser austreten sollte. Die Feministinnen, die rausgegangen sind, haben dann denen, die drin geblieben sind, teilweise vorgeworfen, sich dem christlichen Patriarchat unterzuordnen.

KH: Ich selber denke manchmal auch, dass die Frauen eigentlich noch viel lauter für ihre Belange eintreten müssten und sich viel stärker auch untereinander solidarisch zeigen müssten. Oder dass sie auch einfach vieles nicht länger hinnehmen dürfen. Aber leider sagen sich viele doch auch aus pragmatischen Gründen: Ach, lass die Männer doch machen. Es kommt eben vor, dass man sich bestimmte Kämpfe erspart, weil sie so mühselig sind. Wir müssen einfach einen längeren Atem haben. Klar sollte man viel häufiger protestieren, etwas unternehmen, wenn einem bestimmte Dinge auffallen. Aber dazu hat eben nicht jede immer Lust, was ich persönlich schade finde. Es ist aber auch etwas Menschliches, dass man manchmal lieber den einfacheren Weg geht oder genau abwägt, wann man seine Energie für Kämpfe einsetzt und wann man sich mit kleinen Vorwärtsschritten zufrieden gibt und abwartet. Denn vieles verändert sich auch, indem man ein bisschen Zeit verstreichen lässt und kontinuierlich dranbleibt, nur leider nicht so schnell, wie wir es gerne hätten.

AS: Was mich immer sehr ärgert, wenn über frauenfeindliche Strömungen innerhalb von Religionen gesprochen wird, ist die Wortwahl. Da wird zum Beispiel gesagt, solche Gruppen wären besonders „fromm“ oder „strenggläubig“. Ich würde ja sagen, Leute, die Frauen unterdrücken, begehen Gotteslästerung. Sie sind überhaupt nicht besonders fromm oder strenggläubig, sondern im Gegenteil ungläubig.

KH: Ja, das sehe ich auch so. Rein logisch müsste jeder gläubige Mensch einsehen, dass Frauen nicht unterdrückt werden dürfen, das ist doch ganz offensichtlich – Gerechtigkeit ist schließlich ein ganz zentrales Anliegen im Koran, natürlich auch Geschlechtergerechtigkeit. Wenn Allah „al-Adl“, der Gerechte ist, dann ist das ein Auftrag an die Gläubigen in allen Angelegenheiten gerecht zu handeln, da man sich mit den Attributen Gottes färben soll. Allerdings ist es oft nicht so einfach. Da kommt dann zum Beispiel das Schutzargument „Wir meinen es doch nur gut und es geht um das Wohl der Familie“ oder etwas Ähnliches.  Unterdrückungsmechanismen werden eben oft verschleiert.

AS: Ja klar, es geht normalerweise keiner hin und sagt: „Ich kann Frauen nicht leiden und will sie unterdrücken“, sondern irgendwie wird es zurechtgebogen und legitimiert. Der Islam hat ja derzeit in Deutschland den Ruf, eine besonders frauenfeindliche Religion zu sein und wird dementsprechend von vielen kritisiert. Wie schätzen Sie das eigentlich ein: Ist diese Kritik hilfreich für eine Veränderung der Moscheegemeinden in Richtung mehr Freiheit für die Frauen? Oder ist es eher kontraproduktiv?

KH: In großen Teilen ist es kontraproduktiv. Empowerment geht anders. Wenn Frauen immer wieder eingeredet wird, sie würden durch die Religion unterdrückt werden, glauben sie irgendwann vielleicht auch, dass sie das eben so hinnehmen müssen oder sich vom Islam verabschieden müssen. Wir müssen Frauen von innen stärken, dazu ist es wichtig, aus den islamischen Quellen heraus zu argumentieren und ihnen zu zeigen, dass sie sich nicht zwischen Religion und Gleichberechtigung entscheiden müssen. Teilweise ist es aber auch hilfreich, wenn von außen gefragt wird, wie es bei uns mit den Frauen ist, wo die sind und was sie machen. Das führt schon dazu, dass ein gewisser Druck da ist, Frauen in ihren Anliegen stärker zu unterstützen, und dass sich auch Frauen selber stärker in der Verantwortung sehen, sich einzusetzen, weil sie sonst die Vorurteile ja bestätigen würden. Aber wenn man dann alles schlechtredet und bestimmte Dinge auch einfach vermischt, dann ist es nicht gut. Zum Beispiel gibt es Konzepte, die die Frauen auch als befreiend empfinden, die dann aber als frauendiskriminierend eingeordnet werden, wie zum Beispiel, dass es bei uns eigene Frauenveranstaltungen gibt. Aber die Frauen finden es vielleicht toll, dass sie auch mal nur unter sich sein können. Nicht alles, was dafür gehalten wird, ist auch wirklich immer Diskriminierung.

AS: Die Frauenbewegung hat vor vierzig Jahren ja stark darum gekämpft, eigene Räume nur für Frauen zu haben. Das war damals ein Skandal, und die Männer haben sehr dagegen protestiert, dass Frauen sich „separiert“ haben. Das Evangelische Frauenbegegnungszentrum in Frankfurt zum Beispiel ist so eine feministische Errungenschaft, und es war gar nicht so einfach, es durchzusetzen.

KH: Eben. Aber als Musliminnen müssen wir uns sehr viel verteidigen und alles rechtfertigen. Das kann man dann schon teilweise als nervig empfinden und es ist auch belastend. Gerade muslimischen Frauen, die ein Kopftuch tragen, wird oft pauschal unterstellt, sie wären konservativ oder würden patriarchalische Strukturen decken.

AS: Das ist das, was ich vorhin meinte: Religiosität und Feminismus werden als Gegensätze angesehen, und je „frommer“ eine Frau ist, desto weniger traut man ihr zu, Feministin zu sein. Ich finde es hingegen völlig logisch, dass gerade besonders fromme Frauen für mehr Gerechtigkeit und Freiheit einsetzen, weil das ja ihre Pflicht vor Gott ist.

KH: Es gibt eine schöne Überlieferung, in der heißt es, wenn man Unrecht sieht oder Unterdrückung oder Ungerechtigkeit, ist es die Pflicht eines Muslims, mit der Hand etwas dagegen zu tun, und wenn er das nicht kann, dann mit dem Wort, und wenn er das nicht kann, soll man sich mit dem Herzen davon abwenden und eine Abscheu dagegen empfinden, und das ist die schwächste Form des Glaubens. Man muss also etwas tun, man kann nicht einfach da sitzen und warten, bis es besser wird, sondern man hat eine Verantwortung, sich gesellschaftlich zu engagieren. Aber es gibt eben auch die Überlieferung, wenn man etwas Falsches sieht, soll man 40 Tage dafür beten. Ich glaube, diese Verbindung ist wichtig. Man führt nicht einfach nur einen säkularen Kampf, sondern man setzt sich auch spirituell dafür ein, indem man wirklich intensiv für diese Sache betet und sich da auch bemüht, und das kommt manchmal zu kurz.

Weiterlesen: Teil 5 zu Erbsünde und Reformation

Artikelinformationen

Beitrag von , , veröffentlicht am 14. November 2016 in der Rubrik Gott & Glauben, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.