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Frauen und Religion: Erbsünde und Reformation

Schränken Religionen Frauen ein? Oder helfen sie beim Kampf für mehr Freiheit? Teil 5 des Gespräches zwischen Antje Schrupp und Khola Maryam Hübsch (komplettes Interview).

Zwei Frankfurterinnen, die aus religiöser Perspektive für die Freiheit der Frauen eintreten: Khola Maryam Hübsch (36, links) ist Germanistin und Publizistin, Antje Schrupp (52) ist Politikwissenschaftlerin und Redakteurin von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Ilona Surrey

Zwei Frankfurterinnen, die aus religiöser Perspektive für die Freiheit der Frauen eintreten: Khola Maryam Hübsch (36, links) ist Germanistin und Publizistin, Antje Schrupp (52) ist Politikwissenschaftlerin und Redakteurin von „Evangelisches Frankfurt“. Foto: Ilona Surrey

AS: Es ist ja zur Zeit üblich, viele Fragen, oft auch kritische, an den Islam zu stellen. Haben Sie vielleicht auch welche an das Christentum?

KH: Ja, was mich am Christentum interessiert, ist die Sache mit der Erbsünde, die im Islam abgelehnt wird. Ich verstehe dieses Konzept auch nicht, im Islam wird der Mensch eigentlich sündenfrei auf die Welt geboren.
AS: Die Idee ist, dass kein Mensch es schafft, sündenfrei zu leben, dass es zum Menschsein gehört, Sünden zu begehen, und niemand kann für sich beanspruchen, sündenfrei zu leben, außer Jesus. Praktisch heißt das, ich kann mich nicht über andere erheben, sondern ich muss entsprechend demütig sein. Nur mit Gottes Hilfe kann ich das Richtige tun, nicht aus eigener Kraft. Das sorgt auch für mehr Gelassenheit und Frieden. Ich kenne viele Leute, die versuchen ganz angestrengt, gut zu sein, und dann sind sie sehr frustriert, wenn das nicht klappt. Das kann dann in Wut und Missgunst umschlagen.

KH: Oder auch in Perfektionismus.

AS: Ja, genau. Die Idee ist sozusagen: Nicht der Mensch tut gute Werke und wird dann von Gott geliebt, sondern Gott liebt zuerst, und das versetzt Menschen in die Lage, gute Werke zu tun, wenn auch vielleicht nicht immer und durchgehend. Aber immerhin. Und dann die speziell evangelische Variante mit der Rechtfertigung, die besagt: Dass du gute Werke tust, hat den Sinn, dass das die Welt besser macht, aber nicht, dass du Gott gefällst. Denn Gott gefällst du sowieso, und wenn du das glaubst, dann bist du eher in der Lage, auch ein guter Mensch zu sein. Das ist eigentlich die Erbsünde. Erbsünde heißt, kein Mensch kann sich aus eigener Kraft reinwaschen.

KH: Warum Jesus für meine Sünden sterben müsste, erschließt sich mir zwar nicht. Aber auch im Islam spricht man davon, dass man nur durch die Gnade Allahs die Möglichkeit erhält, Gutes zu tun und zu glauben – es ist nicht der eigene Verdienst. Im Islam gibt es viele sufische Geschichten, die davon erzählen, dass es diese große Gefahr gibt, sich sein ganzes Leben lang formal an alles gehalten zu haben, aber innerlich die schlimmste Sünde zu begehen, nämlich zu glauben, man sei rein, und dadurch Überheblichkeit und Arroganz und Hochmut zu entwickeln. Ohne eine tiefe Demut und Einsicht über die eigenen Schwächen ist spirituelle Entwicklung nicht möglich.

AS: Historisch war das im christlichen Bereich auch ein Widerstand gegen die Institution einer Kirche, die mit Ablasshandel die Einhaltung der Gebote überwacht hat und dadurch Hierarchien und weltliche Macht ausgebildet hat. Dagegen sagte dann die Reformation, dass das Verhältnis der Menschen zu Gott ganz direkt ist und keine Institution dazwischen vermitteln muss. Das war letztlich in Europa auch ein Anstoß für die Säkularisierung, denn wenn Religion eine direkte Angelegenheit zwischen Menschen und Gott ist, muss die weltliche Organisation der Gesellschaft von weltlichen Institutionen gemacht werden, die sich nicht auf Gott berufen können.

KH: Und das ist auch richtig so, anders geht es auch nicht. Im Islam ist diese Frage ja umstritten, aber wir in der Ahmadiyya sind für diese Trennung von Staat und Religion und argumentieren ja auch theologisch dafür. Zum Beispiel indem wir sagen, Gerechtigkeit ist in einer pluralen Gesellschaft nur in einem säkularen System möglich. Und der Koran benennt Gerechtigkeit jenseits von der Religionszugehörigkeit als oberstes Prinzip für ein politisches System.

AS: Es gibt ja jetzt gerade auch eine Diskussion darüber, ob der Islam eine Reformation braucht oder nicht. Was würden Sie sagen?

KH: Ich glaube zwar nicht, dass der Islam als Religion eine Reform benötigt, aber dass die Muslime definitiv eine Reformation brauchen, weil es einfach an sehr vielen Stellen so gravierende Missstände gibt, auch in der Exegese. Es haben sich im Mainstream-Islam Dinge durchgesetzt, die fatal sind, zum Beispiel gibt es in über der Hälfte der islamischen Länder eine Strafe auf Apostasie, also Abfall vom Glauben. Es gibt ganz extreme Menschenrechtsverletzungen, die Meinungsfreiheit ist nicht gewährleistet, von Frauenrechten ganz zu schweigen. Definitiv ist da eine Reformation nötig. Und es hat sich teilweise auch ein Islamverständnis durchgesetzt, das ich sehr problematisch finde. Da muss es von Grund auf ein Umdenken geben, es fehlt an Spiritualität, die Religion ist zu einem unreflektierten Ritual verkommen. Der Volksislam ist durchsetzt von abergläubischen und patriarchalen Traditionen und wird politisch instrumentalisiert. Sehr viele Leute sind nicht zufrieden mit dem Islam, so wie er momentan von einer bestimmten Form von Gelehrtenschaft vermittelt wird. Es geht nur noch um Gebote und Verbote, ohne den tieferen Sinn dahinter zu verstehen.

AS: Manche Kritiker des Islam gehen aber noch weiter und fordern auch eine Distanzierung vom Koran und vom Propheten Mohammed.

KH: Ich glaube nicht, dass man die Quellen des Islams in Frage stellen darf – damit würde man ja den Glauben aushöhlen. Es gibt tatsächlich schon konkrete Vorschläge, zum Beispiel bestimmte Verse im Koran am besten zu streichen. So funktioniert das meiner Meinung nach nicht, das entspringt einemsehr naiven Wunschdenken mancher westlichen Beobachter und so genannter Islamkritiker. Der Islam ist eben anders aufgebaut als das Christentum. Der Koran beansprucht für sich, das letzte gesetzgebende Buch Gottes zu sein, er gilt als wortwörtliche Offenbarung Gottes, das ist ein sehr zentraler Bestandteil des Glaubens. Da kann man nicht einfach ein paar Verse streichen. Der Schlüssel zur Reform liegt in der Exegese, in der Auslegung, und aus unserer Sicht als Ahmadi-Musime eben auch in der Annahme des Reformers für unsere Zeit, dem prophezeiten Messias, der die Autorität und Legitimation hat, für sich zu beanspruchen, eine angemessene Exegese vorzulegen, weil er sich als Prophet auf Gott beruft.

AS: Wobei auch die Reformation in Europa ja nicht darin bestand, die Bibel zu verändern oder gar unliebsame Teile zu streichen. Es geht eher darum, den Zugang und die Perspektive auf einen heiligen Text zu verändern.

KH: Ja, aber im Bezug auf eine Reformation des Islam gibt es momentan auch die Forderung, den Prophet Mohammed nur noch als normalen Menschen mit Fehlern und Schwächen zu sehen, und abzulehnen, dass sein Beispiel, wie er gelebt und was er praktiziert hat, als für die Muslime maßgeblich anzusehen. Aber das ist eben auch ein Teil unseres Glaubensbekenntnisses. Der Prophet gilt als letzter gesetzgebender Prophet und wird im Koran als „Barmherzigkeit für alle Welten“  beschrieben. Ich finde, dass man einen anderen Ansatz wählen muss, und zwar muss man sich alles genau anschauen, und sich von den Elementen in den Propheten-Biografien trennen, die im Widerspruch zum Koran stehen. Die Biografien sind lange nach dem Ableben des Propheten entstanden, nicht alles kann unhinterfragt übernommen werden. Ähnliches gilt für die so genannten Hadithe: Es gibt ja über 600.000 Überlieferungen, und natürlich sind 90 Prozent davon nicht authentisch, das ist ein klarer Fall. Diesen Ballast muss man abwerfen. Aber welche Legitimation hat denn ein gläubiger Mensch, den Koran zu ändern? Da geht es nur über die plausible Interpretation: Der Koran nimmt für sich in Anspruch, ein widerspruchsfreies Buch zu sein, das ist ganz wichtig für die Exegese. Also man kann einen textuellen Kontext herstellen, den historischen Kontext betrachten, ich sehe gar keine große Herausforderung darin, den Koran so zu interpretieren, dass es ein menschenfreundliches Buch ist. Ich finde sogar, dass es die einzig schlüssige und in sich kohärente Interpretation ist, ihn so zu lesen. Die anderen Interpretationen finde ich immer so ein bisschen an den Haaren herbeigezogen.

AS: Dieses Problem stellt sich natürlich überall, wo man es mit heiligen Schriften zu tun hat, zumal wenn sie Jahrtausende alt sind. Einerseits transportieren sie einen überholten Zeitgeist und lassen sich nicht eins zu eins auf heute übertragen, man muss sie also interpretieren, aber andererseits ist dann die Gefahr groß, die eigene Meinung da hinein zu interpretierten. Bei der Bibel würde ich auch nicht sagen, dass die problematischen Verse gestrichen werden sollten. Denn sie sind natürlich auch ein Teil der Geschichte, ich muss mich ihnen gegenüber verhalten. Solche Versuche gab es ja auch unter den Nazis, die alles, was ihnen zu sehr jüdisch klang, aus der Bibel streichen wollten. Aber eine heilige Schrift soll ja die Menschen herausfordern und zum Nachdenken und vielleicht zum Umdenken bringen, und das funktioniert natürlich nicht, wenn ich immer einfach alles herausstreiche, was mir nicht gefällt.

KH: Das Problem sehe ich aber auch teilweise bei der feministischen Exegese. Es gibt ja diesen viel diskutierten Vers im Koran, wo es um das Schlagen der Frau geht. Da machen es sich manche Theologinnen zu leicht, wenn sie sagen, da steht gar nicht „Schlagen“, das heißt eigentlich nur „Sicht trennen“. Es wäre natürlich schön, wenn es so einfach wäre, aber wenn man mit Arabistikern oder Literaturwissenschaftlern spricht, dann sagen die: Nein, das kann man so nicht sagen.

AS: Das heißt, da steht schon, man darf eine Frau unter Umständen schlagen? Und wie gehen Sie damit um, dass sowas im Koran steht? Denn natürlich darf man doch eine Frau unter keinen Umständen schlagen!

KH: Ja, natürlich. Der Vers entstand in einem streng patriarchalen Kontext, wo häusliche Gewalt die Regel war, Frauen sind damals tagtäglich von Männern geschlagen worden. Diesen Männern einfach zu sagen, sie dürfen Frauen nicht mehr schlagen, hätte vermutlich nicht viel gebracht. Man muss Menschen erstmal dazu erziehen, andere Mittel für eine gewaltfreie Lösung zu lernen, zum Beispiel wie man miteinander Dinge ohne Gewalt verhandelt. Im Koran sind dann drei Stufen beschrieben: Erstmal soll man das Gespräch suchen, räumlichen Abstand halten und für einen gewissen Zeitraum die Betten trennen. Es wird also versucht, das Schlagen aus dem Affekt heraus zu verhindern und die Situation erstmal zu deeskalieren. In heutigen Worten sagen, es wird ein Mediationsverfahren vorangestellt. Das wäre heute auch noch sinnvoll, schließlich ist Gewalt gegen Frauen ja immer noch ein großes Problem, in allen Kulturen und in allen Schichten.

AS: Trotzdem können sich doch Männer auf diesen Vers berufen und sagen: Ich hab versucht, mit ihr zu reden, und ich habe mich eine Weile getrennt und abgewartet, aber es hat nichts genützt. Also darf ich sie jetzt schlagen.

KH: Gibt es wirklich Männer, die so argumentieren? Häusliche Gewalt entsteht doch fast immer im Affekt, man schlägt doch nicht rational durchdacht. Häusliche Gewalt ist in der Regel eine emotionale Sache, und gerade das wird durch diesen Vers im Koran verhindert. Vielleicht ist der Ansatz psychologisch gar nicht so dumm. Man darf auch nicht vergessen: Die Praxis des Propheten gilt als Vorbild für Muslime und als wegweisend bei der der Interpretation des Korans. Er hat Frauen nie geschlagen und Gewalt gegen Frauen verabscheut, er sagte „Der beste unter euch ist derjenige, der seine Frau am besten behandelt“. Der Gründer der Ahmadiyya Muslim Jamaat hat übrigens scharfe Worte für Männer gefunden, die Gewalt gegen Frauen anwenden, das sind keine spirituellen Männer, die den hohen moralischen Eigenschaften entsprechen, nach denen ein Muslim streben sollte – ihnen droht die Exkommunikation aus der Gemeinde.

Artikelinformationen

Beitrag von , , veröffentlicht am 14. November 2016 in der Rubrik Stadtkirche, erschienen in der Ausgabe .

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Dr. Antje Schrupp ist geschäftsführende Redakteurin von Evangelisches Frankfurt. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com.