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Von – 6. März 2017

So wird das nichts!

Manche Kitas verlangen von Eltern, die ihre Kinder zu spät abholen, ein Bußgeld. Die Medien stürzen sich auf das Thema und inszenieren einen Schlagabtausch zwischen Eltern und Erzieherinnen, anstatt das eigentliche Problem ins Visier zu nehmen. Mich regt das auf. 

Sandra Hoffmann ist Redakteurin in der Evangelischen Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und selber Mutter von zwei Kita-Kindern. Foto: Petra Lesnik

Wie man dieser Tage auf vielen Kanälen hören und sehen konnte, hat eine Kita im hessischen Taunusstein auf das ständige Zuspätkommen von Eltern reagiert und will bald ein Bußgeld für diejenigen erheben, die ihre Kinder zu spät abholen. Zehn Euro pro angefangene Viertelstunde müssen die Mütter oder Väter dann zahlen, die ihre Kinder nicht rechtzeitig mitnehmen. Das gilt allerdings nur für die Eltern, die wiederholt zu spät dran sind.

Fakt ist: Andere Kitas in Hessen haben auch schon Regelungen und „Strafgebühren“ eingeführt, um Eltern dazu zu bringen, ihre Kinder rechtzeitig abzuholen. Und rechtlich ist das auch ganz klar erlaubt, weil Eltern in so einem Fall gegen den mit der Kita geschlossenen Betreuungsvertrag verstoßen. Selbstverständlich kann niemand von Erzieherinnen und Erziehern erwarten, dass sie unbezahlte Überstunden machen.

Und dann die ganzen Medien so: „Wie finden Sie das? Ist das fair? Sagen Sie uns Ihre Meinung!“ Und schon war ein medienwirksamer Schlagabtausch zwischen Erzieherinnen und Eltern in vollem Gange…

Ein fieser Stau und schon ist man zu spät

Ich bin selbst Mutter von zwei Kita-Kindern und weiß ganz genau, dass trotz der akribisch geplanten Effizienz und der Hetzerei als berufstätige Eltern ein fieser Stau oder ein auf Kante genähter Aufbruch am Arbeitsplatz Gründe dafür sein können, dass man mit quietschenden Reifen vor der Kita vorfährt und ja, auch sogar mal knapp die Schließzeit verpasst. Ich behaupte mal, die wenigsten Eltern kommen aus bewusster Verantwortungslosigkeit oder Egoismus zu spät.

Dass das Betreuungspersonal oft in derselben Klemme steckt, nämlich selbst ihre Kinder abholen müssen und Zeit mit Ihnen verbringen wollen, ist auch wahr. Aber: Was ich himmelschreiend unfair an der ganzen Sache finde, ist, dass wiedermal zwei Gruppen gegeneinander ausgespielt werden, die an dem Dilemma nicht Schuld sind und deshalb auch das Problem nicht lösen können.

Das 10-Euro-Bußgeld wird im ungünstigsten Fall eine allein erziehende Mutter oder einen Vater treffen, die versuchen, eine Vollzeitstelle inklusive Hin- und Rückweg zur Kita in der Zeit zwischen 7:30 und 17 Uhr zu meistern. Da ist aber in der Regel jede Minute abgezählt. Die, die zu zweit sind und gut verdienen, trifft das Bußgeld ohnehin nicht und es wird sie auch nicht erziehen in dem Sinne.

Ständig diese halbgaren Einzeldiskussionen

Hier ist doch was faul! Ständig, so kommt es mir vor, stehen wir beim Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ vor solchen halbgaren Einzeldiskussionen. Das Thema wird immer nur an einzelnen Punkten angefasst, statt es als ein großes Ganzes, was es ist, zu betrachten. Ein bisschen hier gedreht, ein wenig da geschraubt, ohne Kreativität oder echten Willen, ohne Visionen und Kraft für große Würfe und ja, auch ohne Respekt vor denen, die die Care-Arbeit machen – ob in der Familie oder im Job.

Vorschlag: Wir schaffen flächendeckend Kinderbetreuungseinrichtungen kostenlos und mit Öffnungszeiten von 7 bis 18 Uhr. Dann könnten diejenigen, die einen 8-Stunden-Erwerbsarbeitstag leisten müssen, es ohne Herzinfarkt schaffen, ihre Kinder in dieser Zeit pünktlich abzuholen. Das ist eine Stunde mehr als bisher meist üblich, mehr nicht. Das und natürlich eine gerechte Entlohnung und Arbeitszeitregelung für diejenigen, die das Wertvollste, das wir als Gesellschaft haben, in ihre Obhut nehmen – unsere Kinder.

Es ist so erbärmlich, dass es einerseits gewollt wird, dass alle arbeiten und möglichst in Vollzeit erwerbstätig sind, damit sie zum Beispiel auch im Scheidungsfall eigenverantwortlich im Leben stehen, dass aber andererseits weiterhin erhebliche Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen, Teilzeitarbeit ein Stigma und Abstiegsmodell ist und Betreuungsangebote trotz allem halbherzig, knapp und teuer sind.

So wird das nichts.

Artikelinformationen

Beitrag von , veröffentlicht am 6. März 2017 in der Rubrik Lebenslagen, Meinungen, erschienen in der Ausgabe .

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Sandra Hoffmann ist Journalistin in der Evangelischen Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt.

Kommentare zu diesem Artikel

  • Andrea Teupke schrieb am 7. März 2017

    Was ich „himmelschreiend unfair“ finde an dieser Diskussion, dass keine Rücksicht auf die Interessen der Kinder genommen wird. Wieviel institutionelle Betreuung halten Kinder Ihrer Meinung nach aus? Wieviel Zeit für Muße, selbstgewählte Tätigkeiten, Treffen mit Freunden, mit den Geschwistern spielen, herumtrödeln, einfach zu Hause sein oder rausgehen gestehen Sie ihnen zu? Dazu kommt: Kita von 7 bis 18 Uhr bedeutet, die ErzieherInnen arbeiten im Schichtdienst, d.h. die Kinder erleben ständig wechselnde Bezugspersonen. Und wie soll eine verlässliche, für Kinder erkennbare Rhythmisiserung des Tages möglich sein, wenn die einen schon um sieben Uhr kommen und die andern erst um halb zehn? Was passiert in so einer Kita mit den Kindern, die tatsächlich als letzte abgeholt werden? „Flächendeckend Kinderbetreuungseinrichtungen kostenlos und mit Öffnungszeiten von 7 bis 18 Uhr“? Nee, bitte nicht.

  • Gisela Weber schrieb am 16. März 2017

    Das wirkliche Problem sehe ich im Abbau der der leiblichen Mutter(Eltern)-Kind-Bindung, in der Schleifung von Mutterschaft und der ökonomischen Entwertung der Erziehungsleistungen von Eltern, hier vor allem von Müttern.

    Erwerbs- und Fremdarbeit führt zu Fremdbetreuung, die kapitalisiert werden soll, wobei die Mütterarbeit stets eine kostenlose Voraussetzung für patriarchales Wirtschaften darstellt.

    Die Gesamt-Tendenz geht dahin, dass leibliche und naturgegebene Bindungen wegrationalisiert werden sollen zugunsten von Arbeitsverhältnissen, die den Menschen von sich selbst, der Natur und von seinen Kindern entfremden.

    Die professionelle Fremdbestimmung erhält einen höheren Stellenwert als die Bestimmung durch verwandtschaftlich-fürsorgliche Bindung.

    Das Dilemma entsteht dadurch, dass immer mehr Mütter sich aus der unbezahlten Mütterarbeit befreien müssen und einer Erwerbsarbeit nachgehen müssen um gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung zu erhalten und um ihre Existenz zu sichern.

    Das heißt auch, dass Mutterschaft zum Auslaufmodell wird, weil Kinder zum Armutsrisiko werden. Zum anderen ensteht ein Mangel an bezahlten Arbeitsangeboten, weil die unbezahlte Arbeitskraft der Mütter wegfällt und durch Erwebsarbeit ersetzt werden soll.

    Angesichts der Tatsache, dass die Endlichkeit von Naturressourcen immer gegenwärtiger wird und die Umwelt immer weiter vergiftet wird durch die patriarchale Arbeitsweise, muss der Sinn von Arbeit grundsätzlich überdacht werden. Eine Arbeitsweise, die die Umwandlung der Natur in menschengemachte Produkte und die Beherrschung der Natur zum Inhalt hat, wird auf Dauer unsere Lebensgrundlagen zerstören.

    Ein Umdenken hin zur „Care“ Arbeit und hin zur Erhaltung unserer existenziellen Lebensgrundlagen wäre dringend notwendig. Dazu gehört auch die Erhaltung der Mutter-Kind-Bindung.

    Die Professionalisierung und Kapitalisierung der Erziehungsarbeit hingegen setzt einen Fremdbestimmungs-Mechanismus in Gang, bei dem es immer mehr Verlierer geben wird.